Der jetzige Bayern-Torwarttrainer Michael Rechner war der erste, der neben seiner Haupttätigkeit bei der TSG Hoffenheim in der Länderspielpausen noch die Torhüter der türkischen Nationalmannschaft betreute. Die Verbindung hergestellt hatte der ehemalige deutsche U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz, nachdem er das Amt des türkischen Nationaltrainers übernommen hatte. Mit seinem Wechsel zu den Bayern musste Rechner seine Arbeit beenden, weil diese Nebentätigkeit aufgrund des vollgestopften Terminkalenders der Münchener zeitlich nicht mehr möglich war. Für Stefan Kuntz hat sich das Modell mit dem Ex-Hoffenheimer aber absolut bewährt. Rechner sei für die türkische Nationalmannschaft „ein absoluter Volltreffer“ gewesen, der 42-Jährige habe die türkischen Torhüter „super vorbereitet auf die Spiele“.
Deshalb kontaktierte Kuntz nach dem Ausscheiden Michael Rechners Stuttgarts Torwarttrainer Steffen Krebs, der im Sommer 2021 von Borussia Mönchengladbach zu den Schwaben kam, und bat ihn um Unterstützung bei der Betreuung der türkischen Länderauswahl. Rechner und Krebs kannten sich aus gemeinsamen Hoffenheimer Zeiten. Der VFB-Torwarttrainer betreute im Juni in den beiden Qualifikationsspielen zur EM 2024 die Keeper der türkischen Nationalmannschaft. Inzwischen hat diese Aufgabe Sven Höh vom Hamburger SV übernommen.
Auch Fabian Otte geht diesen Weg
Nun strebt ein weiterer Torwarttrainer der Bundesliga diese Doppelrolle an. Fabian Otte, Torwarttrainer bei Borussia Mönchengladbach, wird in den kommenden Länderspielpausen die Torhüter der US-Nationalmannschaft betreuen. Auf der Website der Borussia verriet der 32-Jährige, wie er zu dem Job kam. „Vor einiger Zeit kam der US-Verband auf mich zu und hat gefragt, ob ich Zeit für einen Austausch mit Trainer Gregg Berhalter und Sportdirektor Matt Crocker hätte. Sie haben mir dann in einem Video-Call davon berichtet, dass sie das Team rund um die Nationalmannschaft gerne breiter aufstellen wollen und mich gerne als Torwarttrainer für die nächsten Länderspielperioden unter Vertrag nehmen würden. Wie sie auf mich gekommen sind, weiß ich ehrlich gesagt nicht“, wunderte sich Otte. Möglicherweise hatten Joe Scally und Jordan Siebatcheu, die beiden US-Amerikaner in Reihen der Gladbacher, als „Informanten“ gedient und die Nachricht von der guten Arbeit des 32-Jährigen bis in die USA verbreitet. Neben großen fachlichen Qualifikationen könnte zudem bei der Anfrage eine Rolle gespielt haben, dass Otte nach jahrelangen Aufenthalten in England und Neuseeland perfekt englisch spricht, so dass keine Sprachbarrieren die Arbeit behindern.
Die Amerikaner sehen die Zusammenarbeit mit Fabian Otte perspektivisch. Im Jahr 2026 richtet die USA gemeinsam mit Kanada und Mexiko die Weltmeisterschaft aus. Bis dahin soll der Stellenwert des Fußballs in den USA durch Qualität im Training und damit auch im Spiel erhöht werden. Denn vor allem sportliche Erfolge im Vorfeld der WM wecken das Interesse und die Begeisterung der amerikanischen Fans an dieser Großveranstaltung.
Zunächst liegt aber das Hauptaugenmerk des US-Teams auf der Vorbereitung und Qualifikation für die Copa Amerika 2024, bei der schwierige Spiele, z.B. gegen Brasilien und Argentinien, auf die Mannschaft warten. Dazu soll die Arbeit Fabian Ottes ab September - und dann auch in den darauffolgenden drei Länderspiel-Perioden der laufenden Saison (Oktober, November, März) - für den US-Verband beitragen. Dass seine Arbeit nur begrenzt Früchte tragen kann, ist sich Otte bewusst: „Die Arbeit ist sicherlich nicht mit der bei einem Verein vergleichbar, zumal das Hauptaugenmerk auf Borussia liegt. In den wenigen Einheiten beim US-Team kann ich nicht die Technik oder das taktische Verständnis der Torhüter grundlegend verbessern.“ Den Zweck seiner Arbeit sieht er in anderen Bereichen: „Es wird hauptsächlich um die konkrete Spielvorbereitung gehen. Sehr interessant finde ich daneben den Aspekt, dass ich externer Unterstützer für die Torhüter bin, ihnen Feedback geben und bei Problemen im Verein zur Seite stehen kann.“
Was verspricht sich Gladbach von der Doppelrolle?
Dass die Arbeit bei Borussia Mönchengladbach unter der zeitweilen Abwesenheit von Otte nicht darunter leiden darf, versteht sich von selbst. Die Vertretung für ihn wurde vereinsintern gelöst. In der jetzt anstehenden Länderspiel-Pause wird Milenko Gilic, der sonst bei der U23 das Torwarttraining leitet, übernehmen. Fabian Otte sieht durchaus Vorteile in dieser Arbeitsteilung. „Es ist auch eine gute Gelegenheit, den anderen Torwart-Trainern neue Erfahrungen zu ermöglichen und gleichzeitig unseren Jungs im Training in den zehn Tagen andere Impulse zu geben“, sieht der 32-Jährige die Situation positiv.
Unklar war zunächst, wie der Verein auf das Angebot aus der USA reagieren würde. Aber in seinen Gesprächen mit Gladbachs Sportdirektoren Roland Virkus und Nils Schmadtke kamen alle Beteiligten zur Erkenntnis, dass Ottes Erfahrungen im US-Verband nicht nur für ihn selbst bereichernd sein könnten, sondern auch für die Borussia. Denn Ottes neue Aufgabe kann dazu beitragen, „beim Spieler-Scouting und hinsichtlich ihres Netzwerks in der USA noch besser aufgestellt zu sein.“ Zudem würden neuer Input und neue Erfahrungen auch immer neue Energie geben. Das alles könne er dann auch bei der Borussia einbringen und mache seine Arbeit in Gladbach wieder ein Stück besser, ist sich Fabian Otte sicher.
Dass Vereinstrainer zugleich auch für Verbände arbeiten, war bisher in Deutschland eher ungewöhnlich. In anderen Ländern hingegen war diese Doppelfunktion selbst auf der Cheftrainer-Position in der Vergangenheit durchaus üblich. Dick Advocaat 2005/06 (AZ Alkmaar und Belgien) sowie Guus Hiddink 2005/06 (PSV Eindhoven und Australien) und 2009 (FC Chelsea und Russland) sind dafür gute Beispiele aus unserem Nachbarland Niederlande. Aber auch andere Länder hatten schon diesen Weg gewählt, wie beispielsweise Diego Simeone (Atletico Madrid/Argentinien), Rudi Völler (Bayer Leverkusen/Deutschland) oder Valeriy Lobanovskyi (Dynamo Kiew/Ukraine). Zu hoffen ist allerdings, dass Fabian Otte nicht zu viel Gefallen an seiner neuen Aufgabe findet und aus einem Zeitvertrag ein längerfristige Zuammenarbeit wird. Immerhin läuft Ottes Vertrag in Mönchengladbach im Sommer 2024 aus.