Jeder, der schon einmal das Training von Fabian Otte, dem bisherigen Torwarttrainer von Borussia Mönchengladbach und zukünftigen der US-Nationalmannschaft, beobachtet hat, war vielleicht etwas verwundert darüber, dass die Torhüter bei manchen Übungen, vor allem im Aufwärmteil, Kopfhörer tragen, wie sie ansonsten auf Baustellen gegen Lärmschutz verwenden werden. Gehörschützer im Torwarttraining? Wozu denn das, fragt sich der interessierte Betrachter, welcher Gedanke und welches Ziel stecken dahinter? Goalguard verrät es euch.
Gehörschützer im TW-Training - wozu?
Die Mehrheit der Trainer/-innen und Wissenschaftler/innen ist sich heute einig, dass sich Leistungsfortschrittte bei Sportlern am besten erzielen lassen, wenn statt immer gleichen Übungsabläufen Übungen variiert werden. Denn ungewohnte Bewegungsabläufe schaffen im Kopf neue Reize und fordern den Torhüter körperlich und mental anders heraus. Außerdem können neue Aktivitäten und Herausforderungen die Motivation und das Interesse am Training hoch halten und Monotonie vermeiden. Schon kleine Veränderungen, wie z.B. der Einsatz von Gehörschützern, tragen im Torwarttraining zur beabsichtigten Wirkung bei. Neben diesem Gesichtspunkt ist für Fabian Otte beim Einsatz von Gehörschützer ein anderer Aspekt aber noch viel wichtiger.
Das Auge, unser wichtigstes Sinnesorgan
Sinnesorgane sind Organe, die Reize aus der Umgebung wahrnehmen und an das Gehirn weiterleiten. Jeder gesunde Mensch besitzt fünf Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Die fünf Sinne arbeiten dabei nicht isoliert voneinander, sondern ergänzen sich gegenseitig. Von allen fünf Sinnen ist das Auge für die meisten Menschen, besondere auch für Torhüter, das wichtigste Sinnesorgan. Etwa 80 Prozent der Informationen aus unserer Umwelt erhalten wir über unsere Augen, gefolgt vom Gehör- und vom Tastsinn.

Im Torwartspiel kommt der visuellen Wahrnehmung eine überaus entscheidende Bedeutung zu. Um z.B. einen Flankenball richtig einzuschätzen, muss der Torhüter mit seinen Augen mehrere Bewegungen gleichzeitig wahrnehmen: Die Bewegung der gegnerischen Spieler sowie die seiner eigenen Mitspieler, den Zeitpunkt der Einleitung der Flanke, die Flugbahn und die Fluggeschwindigkeit des Balles. Aus diesen visuellen Bezugspunkten trifft der Torhüter dann seine Entscheidung.
Aber neben der Wahrnehmung und Verarbeitung dieser visuellen Reize nimmt ein Torhüter auch akustische und taktile Reize auf. Über die Ohren versucht er möglichst viele Umgebungsgeräusche einzufangen und dadurch dem Gehirn zu vermitteln, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt und wann und wie der Ball getreten wird. Zurufe oder Anweisungen seiner Mitspieler helfen ihm zusätzlich bei seiner Entscheidungsfindung. Aber auch Körperkontakte mit Mitspielern oder gegnerischen Spielern beim Anlaufverhalten oder im Luftkampf helfen dem Torhüter bei seiner Orientierung. Untersuchungen zeigen, dass Torhüter eine besonders gut ausgeprägte Fähigkeit besitzen, die Informationen der verschiedenen Sinnesorgane, besonders der Augen und der Ohren, zusammenzuführen und so eine detaillierte Wahrnehmung zu erhalten. Mit diesen visuellen und akustischen Informationen treffen Torhüter in Sekundenbruchteilen ihre Entscheidung.
Stärkung durch Ausschluss anderer Sinne

Doch war passiert, wenn ein Sinnesorgan ausfällt? Auch auf diesen Fall hat sich der Körper eingerichtet und weiß sich zu helfen. Er versucht, den Verlust so gut wie möglich mit den anderen Sinnesorganen und Körperfunktionen auszugleichen. Denn wenn einer unserer Sinne versagt, springen andere ein. Auch wenn die übrigen Sinne den Ausfall eines Sinnesorgans nicht ersetzen können, können sie dieses zumindest teilweise kompensieren. So können Taube zum Beispiel besser sehen als Hörende, oder blinde Menschen haben gegenüber Sehenden den Vorteil, Dinge schneller und zutreffender zu ertasten.
Den Effekt fürs Torwartspiel nutzen
Wir haben gelernt, dass das Auge unser wichtigstes Sinnesorgan ist und dass der Körper andere Wahrnehmungsorgane schärft, wenn einer der fünf Sinne ausfallen sollte. Genau diesen Effekt will Fabian Otte für seine Torhüter nutzen. Indem er die akustische Komponente, also den Hörsinn, ausschließt, schult er verstärkt die visuelle Wahrnehmung seiner Torhüter. Denn durch den Wegfall der akustischen Wahrnehmung wird sie intensiver trainiert und stärker ausgeprägt.
Wie Fabian Otte Gehörschützer in sein Aufwärmtraining einbaut, zeigt euch das folgende Video. Die Torhüter halten den Ball unter dem Druck des Balleroberers und der Airbodys als Hindernissen in den eigenen Reihen. Das "Spielfeld" reicht bis zur Strafraumlinie und ist links und rechts als gedachte Verlängerung der Torraumlinie begrenzt. Zusätzlich ist eine kognitive Aufgabe zu beachten. Wenn ein Torhüter den Ball erst im zweiten Kontakt weiterleitet, muss der folgende Torhüter direkt weiterpassen.
Ob Fabian Otte mit dem Einsatz der Gehörschützer sein beabsichtiges Ziel erreicht, lässt sich nicht wirklich überprüfen. Eines ist jedoch klar. Für die gewünschte Wirkung müssen die Gehörschützer regelmäßig im Torwarttraining eingesetzt werden. Ein Effekt ist aber auf jeden Fall erfüllt. Ohne die akustische Wahrnehmung müssen die Torhüter bei den Passformen konzentriertert arbeiten und sind deshalb im Kopf stärker gefordert, weil sie aus der Routine ausbrechen.