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Beim DFB herrscht seit Jahren Alarm. Obwohl viele Kinder begeistert mit Fußball beginnen, hören viele früher oder später auf, und das inzwischen eher früher. Von 2009 bis 2019 hat der DFB 18 Prozent seiner Nachwuchsmannschaften verloren und neun Prozent seiner jugendlichen Mitglieder. 2019 wurden in Deutschland 3450 Jugendteams weniger gemeldet als 2018. Deutschlands liebster Sport muss sich also Gedanken machen um seinen Nachwuchs.

Sicherlich sind die Gründe vielfältig, warum viele Jugendliche - vor allem ab der B-Jugend - den aktiven Fußball hinter sich lassen. Gesellschaftliche Veränderungen, wie ganztägige Schulbetreuung, vielfältige andere Freizeitangebote, die abnehmende Bereitschaft, auch bei Widerständen etwas weiter durchzuführen, sowie verändertes Medienverhalten sind mögliche Erklärungen, warum die Jugendlichen die Lust auf die aktive und verpflichtende Betätigung im Fußballsport verlieren. Diese Entwicklung hat auch Folgen für den deutschen Spitzenfußball. Immer weniger junge deutsche Talente finden den Weg nach oben, während die Anzahl ausländischer Nachwuchsspieler in der Bundesliga wächst. Auch wenn der Gewinn der U-19-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr eine andere Sprache zu sprechen scheint, seit Jahren hinkt die Ausbildung im deutschen Nachwuchsbereich Vergleichsnationen wie England, Frankreich oder Belgien hinterher.

Die Frage muss deshalb erlaubt sein, ob neben den veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen auch die Struktur sowie die Trainingsmethoden im Kinder- und Jugendfußball eine Rolle spielen, dass der deutsche Fußball zunehmend Kinder und Jugendliche verliert und international mehr und mehr abgehängt wird. Hannes Wolf, DFB-Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung, bekennt offen, dass über viele Jahre in der Ausbildung in Deutschland „vieles nicht so gut gemacht“ worden sei. Und damit liegt er sicherlich richtig.

Eine Bestandsaufnahme des Kinder- und Jugendfußballs in Deutschland

a) Ein typischer Samstagnachmittag

Es ist Samstagnachmittag. Zwei E-Jugendmannschaften treffen sich zu einem Spiel. Gespielt wird im Sieben-gegen-Sieben, pro Mannschaft ein Torhüter im Kleinfeldtor und sechs Feldspieler. Die Spielzeit beträgt 2 x 25 Minuten. Wenn der Gegner überlegen ist, wird der Trainer seine Taktik so ausrichten, dass sein Team nicht unter die Räder kommt. Er entscheidet sich vorsorglich für die Mauertaktik. „Außer Marc und Kevin geht keiner mit nach vorne“, lautet dann die taktische Vorgabe. Die beiden besten Spieler reißen das Spiel an sich, während ihre Mitspieler oft nur wenige Aktionen haben und überwiegend damit beschäftigt sind, den Ball entweder ins Seitenaus oder möglichst weit nach vorne zu schlagen. Und wehe, wenn die Kinder die taktischen Anweisungen des Trainers nicht entsprechend umsetzen. Dann weist er sie mit lautem Gebrüll zurecht. Auch nach misslungenen Aktionen sind Gefühlsausbrüche des Trainers keine Seltenheit, schließlich verhalten sich die großen Trainer-Vorbilder aus der Bundesliga auch so. Von diesem Typ Trainer scheint es im Kinder- und Jugendfußball offensichtlich einige zu geben. Eine Untersuchung an der Sporthochschule in Köln, die das Verhalten der Trainer im F- und E-Jugendbereich betrachtete, kam zu dem Ergebnis, dass im Bereich der E-Junioren 53,1% der Trainer als "impulsive Typen" eingestuft wurden. Die Ursache ist klar. Viele Jugendtrainer sind aufs Gewinnen fixiert, statt sich als Begleiter einer Entwicklung zu begreifen.

Aber auch die Eltern spielen bei aggressivem Verhalten am Spielfeldrand zunehmend eine Rolle, denn bei allen beobachteten 52 F- und E- Juniorenspielen waren lautstarke negative Kommentare seitens der Eltern zu vernehmen. Auch wenn sich eine Mehrheit der Eltern zurückhaltend und ruhig verhielt, fielen einige Eltern sehr negativ auf, oft mit nicht druckreifem Vokabular.

Und wenn das Spiel verloren ging? Der Trainer ist enttäuscht, hätte er doch gerne sein vermeintlich großes fachliche Wissen in Form eines guten Tabellenplatzes bestätigt gesehen. Auch einige Eltern lassen ihrer Enttäuschung freien Lauf und stellen die Kompetenz des Trainers in Frage. Die Tabelle lügt schließlich nicht. Sieg und Niederlage sind also bereits im E-Jugendbereich von Bedeutung. Die Folge: Der kurzfristige Erfolg wird wichtiger als die langfristige Entwicklung der Spieler. Zudem fängt der Leistungsdruck bereits bei den Kleinsten an, weil der Ehrgeiz und das Erfolgsdenken manche Jugendtrainer und Eltern zu groß sind. Kinder beginnen mit Fußball, weil sie Freude am Dribbeln, am Toreschießen und an der Bewegung und an dem Vergleich mit anderen Kindern haben. Falsche oder ständige Erwartungen hingegen rauben ihnen die Freude am Spiel.

Ist die beschriebene Situation an einem Spieltag eher typisch für den Jugendfußball oder eher die Ausnahme? Eigentlich sollen die Kinder Spaß haben und sich dabei ausprobieren und üben. Aber findet unter solchen Bedingungen das eigentliche Ziel des Kinder- und Jugendfußball, nämlich die Entwicklung, statt? Wohl eher nicht. Es scheint vergessen, dass Fußball für die Kinder da ist, und nicht dazu, dass sich der Trainer oder die Eltern ausleben sollen. Sorgt also letztlich nicht auch die Struktur des Jugendfußballs dafür, dass sich Kinder- und Jugendliche irgendwann nach besseren Alternativen umsehen? Ist es verwunderlich, wenn zu viele Kinder noch in jungen Jahren dem Fußball den Rücken kehren, wenn das bisherige Spielsystem so viel Frust und Freudlosigkeit erzeugt?

b) Das Training im Kinder- und Jugendbereich

Auch ein näherer Blick auf die Trainingsarbeit im Kinder- und Jugendbereich ist lohnenswert. Jahrelang konnte ich selbst auf dem Weg zum Erwachsenentraining beobachten, wie Jugendtraining oftmals abläuft. Schon am Parkplatz waren beim Aussteigen aus dem Auto die Stimmen der Jugendtrainer zu vernehmen. Lautstarke Anweisungen, wohin der Ball zu spielen ist, und ebenso laute Zurechtweisungen, sollte der Ball schon wieder nicht wie gewünscht gespielt worden sein. Die Stimme des Trainers dominierte häufig das Training. Hannes Wolf nennt das „trainerorientierte Trainingspraxis“. In immer enger werdenden Spielräumen sind aber Spieltypen gefordert, die innovative, überraschende und damit nicht vorhersehbare Lösungen für den Gegner produzieren können. Untersuchungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die im Training ständig mit aufmerksamkeitslenkenden Hinweisen („Spiel ab!“ „Schieß endlich!“) konfrontiert werden, weniger Spielkreativität entwickeln. Somit ist es laut Daniel Memmert von der Sporthochschule in Köln "keine gute Idee zur Förderung der Spielkreativität, wenn der Trainer pausenlos das Training stoppt und ständig (taktische) Anweisungen an seine Spieler gibt."

Auch sieht man in Trainingseinheiten noch häufig Übungen, z.B. beim Torschuss, bei denen die Kinder für einen Ballkontakt minutenlang anstehen, oder es werden Trainingsspiele über das Kleinfeld im 7:7 bzw. das Großfeld im 11:11 durchgeführt mit der Folge, dass viele Spieler während einer Trainingseinheit relativ wenige Ballkontakte haben. Viele Wiederholungen sind aber die Grundbedingung für eine Verbesserung und einen Lernerfolg, denn das Sprichwort „Übung macht den Meister“ gilt auch heute noch. Sicherlich findet Training nicht in allen Vereinen in der beschriebenen Form statt, aber zweifellos noch viel zu häufig.

c) … und der Torhüter?

Lohnenswert ist zudem ein Blick auf die Rolle des Torhüters in den Spielen und im Trainingsbetrieb. Um Torgefahr erst gar nicht aufkommen zu lassen, ist der Kurzpass zum Mitspieler im Spiel häufig verboten, weil er zu einem Gegentor führen könnte, wenn er misslingt. Stattdessen fordert der Trainer - des Erfolges wegen - den Keeper auf, den Ball lieber wegzudreschen und unkontrolliert zu klären. Und natürlich darf er sein Tor nicht verlassen, um auf jeden Schuss gerüstet zu sein. Für ein gutes Ergebnis oder für einen Sieg mögen diese Anweisungen durchaus ihre Berechtigung haben, für die langfristige Ausbildung des Torhüters sind sie aber wenig förderlich. Denn in seiner weiteren sportlichen Zukunft werden von ihm Verhaltensweisen erwartet werden, die ihm unter dem Ergebnisdruck und der Erfolgsorientierung des Trainers in seiner Entwicklungszeit verboten sind. Die Orientierung im Raum, das Gefühl für Entfernungen zum Gegenspieler oder aktives Torwartverhalten werden so nicht ausgebildet. Auf seinem Weg zu einem später guten Keeper sind aber genau diese Fähigkeiten von großer Bedeutung.

Und im Training? Da auch im Training häufig im Sieben-gegen-Sieben oder größeren Übungsformen trainiert wird, sind auch dort die Aktionen des Torhüters beschränkt, außer wenn Torschusstraining durchgeführt wird. Aber es gehört im heutigen Torwartspiel mehr dazu, als nur Bälle abzuwehren. Er muss die die Fähigkeiten eines Feldspielers entwickeln: Den Ball sauber an- und mitnehmen, kontrollieren, sprinten, passen, flanken und schießen. Diese Fähigkeiten werden aber nur entwickelt, wenn ein Torhüter im Grundlagenbereich auch als Feldspieler aktiv war und sich somit ganzheitlich entwickeln konnte. Zudem darf die Frage gestellt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, Kinder bereits bei den G-, F- und E-Junioren auf die Torhüterposition festzulegen. Ein Marc-Andre ter Stegen war bis zur U9 noch Feldspieler, bevor er beim verletzungsbedingten Ausfall des bisherigen Torhüters ins Tor durfte und dabei entdeckte, dass er sich auch für die Position des Keepers eignete. Seine Erfahrungen als Feldspieler aber haben ihm auf seinem weiteren sportlichen Weg als Torhüter sicherlich nicht geschadet.

Die Grundfrage ist: Was und wie müssen Kinder und Jugendliche trainieren, um sich bestmöglich zu entwickeln? Welche Änderungen müssen im System Kinder- und Jugendfußball vorgenommen werden, damit Kinder wieder Freude am Spiel haben und dem deutschen Fußball längerfristig erhalten bleiben. Denn Fußball ist mehr als nur Ergebnissport. Neben der Ausbildung einer sportlichen Elite leistet er in einer Gesellschaft wertvolle Arbeit zum Erhalt der Gesundheit, zur Schaffung von sozialen Kontakten und zum Sozialverhalten, weil Regeln eingehalten werden müssen, zur Integration und gegen Rassismus und Ausgrenzung. Der Fußballsport hat also neben dem sportlichen Aspekt einen großen gesellschaftlichen Stellenwert. Insofern ist es wichtig, den Spiel- und Trainingsbetrieb so zu gestalten, dass einerseits die Freude am Spiel und der Zuwachs in Vereinen erhalten bleibt und andererseits Strukturen geschaffen werden, mit denen es wieder gelingt, den Pool an potenziellen Nationalspielern zu vergrößern.

Hannes Wolf hat sich mit seinem elfköpfigen Kompetenzteam dazu interessante Gedanken gemacht und ein Konzept mit dem Titel „Trainingsphilosophie Deutschland“ entwickelt, wie der deutsche Fußball durch veränderte Trainingsgestaltung und einen neuen Spielbetrieb einen Schub erfahren könnte. In einem kommenden Artikel werden wir euch das Konzept vorstellen und dabei vor allem die Rolle des Torhüters unter die Lupe nehmen.

Analysen

Artur Stopper

Artur Stopper

Mit über 25 Jahren Erfahrung als Torwarttrainer weiß Artur, wie Torhüter ticken. Deshalb bevorzugt er Themen, die die Welt der Torhüter ausmachen: Vereinswechsel, Tiefschläge, Pechsträhnen, Höhenflüge, Emotionen, Ersatzbank, Halbgötter, Erfolge.

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