Knapp zwei Jahre war es her, als Loris Karius letztmals in einem Pflichtspiel zwischen den Pfosten stand, denn seinen letzten Einsatz hatte er im Februar 2021 für seinen damaligen Klub Union Berlin. 728 Tage brauchte es, bis er am vergangenen Sonntag bei seinem Debüt für seinem aktuellen Arbeitgeber Newcastle United im englischen Carabao-Cup-Finale gegen Manchester United wieder in der Startelf stand. Dabei kam ihm der Faktor Zufall zu Hilfe. Denn eigentlich war Karius nur als dritter Torhüter bei Newcastle United vorgesehen. Da aber Nick Pope, die etatmäßige Nummer eins der Reds, wegen einer Roten Karte gesperrt und Ersatztorhüter Martin Dubravka nicht spielberechtigt war, weil er im laufenden Wettbewerb schon als Leihspieler für Man United aufgelaufen war, durfte der 29-Jährige nach langer Zeit mal wieder den Platz zwischen den Pfosten ausfüllen. Zweifellos war es für ihn keine einfache Aufgabe, nach so langer Zeit ohne Spieleinsatz.
Champions-League-Finale als Karriereknick
Es war das Champions-League-Finale 2018 zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid (1:3), das der sportliche Laufbahn des Loris Karius einen weitreichenden Karriereknick bescherte. Gefühlt war es erst gestern, so präsent sind die Bilder noch immer. Was war passiert? Loris Karius steht Champions-League-Finale 2018 für den FC Liverpool im Tor. Es ist die 49. Minute, als Real-Kapitän Sergio Ramos den Deutschen mit einer Ellebogen-Attacke niederstreckt. Wie sich später herausstellen wird, trägt Karius eine Gehirnerschütterung davon, spielt aber weiter. Im weiteren Spielverlauf unterlaufen ihm - wahrscheinlich unter dem Einfluss der körperlichen Beeinträchtigungen - zwei folgenschwere Patzer, die die Niederlage der Reds bedeuten.
Die Folgen für Karius sind dramatisch. Zunächst als hoffnungsvoller Torhüter von den Reds verpflichtet, sind Einsätze im Team der Liverpooler danach für die Fans kaum mehr vermittelbar. Zu sehr überwiegt die Enttäuschung über die zwei spielentscheidenden Patzer des Deutschen. Seine aufstrebende Karriere bekommt einen schweren Knick. Bei Liverpool ohne Zukunft, folgen zwei durchwachsene Jahre bei Besiktas Istanbul, wohin er zunächst ausgeliehen wird. Weil Gehaltszahlungen ausgeblieben sein sollen, beendet er den Leihvertrag vorzeitig. Im anschließenden Leihgeschäft mit Union Berlin kann er sich nicht gegen Stammtorhüter Andreas Luthe (35 / inzwischen 1. FC Kaiserslautern) durchsetzen. Sein letztes Vertragsjahr verbringt er zwar wieder an der Merseyside, spielte jedoch im Kader von Trainer Jürgen Klopp fortan keine Rolle mehr.
Newcastle United braucht einen Keeper
Im Juli ist Karius dann vertragslos, nachdem er eine Saison bei Liverpool auf der Tribüne gesessen hat. Aus dem einstigen Shouting-Star ist ein gefallener Sportler geworden, wenn auch finanziell gut abgefedert. Die vertragslose Zeit endet, als Mitte September Newcastle United auf die Verletzung von Ersatzkeeper Karl Darlow reagieren muss und den früheren Bundesliga-Profis unter Vertrag nimmt. Zunächst nur mit einem Vertrag bis Januar ausgestattet, wird der Kontrakt aber dann zu Beginn des Jahres bis zum Ende der laufenden Saison verlängert.
An Karius lag es dieses Mal nicht
Durch die Ausfälle seiner Konkurrenten konnten Karius nun erstmals wieder Fußball-Athmosphäre auf dem Platz einatmen. Die Aufgabe im Finale gegen Manchester United war für ihn nicht einfach. Schließlich musste er etwa zwei Jahre lang auf Spielpraxis verzichten und einen Kaltstart hinlegen. Um es vorwegzunehmen: Karius zeigte bei seinem Comeback eine überzeugende Leistung. Mit starken Paraden hielt er sein Team bis zum Ende im Spiel. Laut der Statistikseite Sofascore hatte Karius insgesamt acht Paraden im Spiel und wehrte dabei drei Schüsse innerhalb des Strafraums ab. Und noch besser: Mit einer Note von 7,9 Punkten von maximal 10 wurde er zum Spieler des Spiels gekürt. Im Gegensatz zu seiner letzten Finalniederlage 2018 mit dem FC Liverpool gegen Real Madrid war er jedenfalls dieses Mal schuldlos an der Pleite.
Eine Parade der 29-Jährigen bleibt besonders in Erinnerung. Es war bereits in der Nachspielzeit, als Uniteds Spielmacher Bruno Fernandes frei vor ihm stand. Doch Karius konnte den Schuss aus rund elf Metern zur Ecke abwehren. Völlig chancenlos war er beim 1:0 durch den Brasilianer Casemiro, der eine Freistoßflanke von Luke Shaw zum 1:0 einnickte. Beim 2:0 hingegen gaben zumindest die beiden englischen Legenden Gary Neville und Jamie Carragher dem Keeper die Schuld. Englands Nationalspieler Marcus Rashford lief nach einem Steckpass seitlich auf Karius zu und zog kurz vor der Torraumlinie ab. Newcastles Innenverteidiger Sven Botman wollte den Schuss blockieren, fälschte ihn aber so ab, dass der Ball über Karius hinweg ins Tor flog. Bei Sky Sports begründete Neville seinen Vorwurf: „Der Ball wird zwar abgefälscht, aber es ist nicht der beste Schuss von Rashford. Der Torhüter geht sehr früh auf den Boden.“ Carragher ergänzte: „Er hätte den Ball halten sollen.“
Nicht viele Experten teilten diese Einschätzung. Zweifellos sah Karius etwas unglücklich aus, weil er sich bereits auf einen Flachschuss eingestellt hatte und somit die Hände nicht mehr rechtzeitig hoch bekam. Längeres Stehen hätte ihm bei dem abgefälschten Ball aus ca. 6 m zweifellos geholfen. Aber einen Vorwurf oder sogar Schuldzuweisungen wegen des Tores sollte man Karius nicht machen. So sah es wohl auch Newcastles Teammanager, der Karius eine gute Partie bescheinigte: „Ich denke, er hat seine Sache wirklich gut gemacht, er hatte einige großartige Paraden", sagte er und fügte hinzu: „Er kann wirklich, wirklich stolz auf seine Leistung sein."
Interessant wird sein, ob diese Ausrufezeichen Loris Karius, ob bei Newcastle United oder einem anderen Verein, eine neue sportliche Perspektive öffnen wird. Möglicherweise könnte seine Zukunft weiter im Nordosten Englands liegen. Angeblich soll ein weiteres Vertragsangebot vom „Saudi-Klub“ bereits im Raume stehen, weil die Entscheidungsträger mit dem Deutschen durchaus zufrieden sind. Aber auch andere Vereine könnten wieder auf den 29-Jährigen aufmerksam geworden sein. Erstmals hat er zumindest für die Fußballwelt ein Zeichen gesetzt, dass er noch immer die Klasse besitzt, auf höchstem Niveau zu performen. Mit 29 Jahren befindet er sich eigentlich im besten Torwartalter, um mehr als die Nummer drei zu sein.