Seit dem Sommer 2022 ist Alexander Meyer bei Borussia Dortmund die Nummer zwei hinter dem Schweizer Stammtorhüter Gregor Kobel. Nach einigen schwereren Verletzungen kam er erst mit 26 Jahren im Oberhaus des deutschen Fußballs an. Nachdem er sich zwei Spielzeiten beim VfB Stuttgart als Ersatztorhüter einfügen musste, schaffte er den sportlichen Durchbruch beim Zweitligisten Jahn Regensburg, wo er drei Jahre lang zu den besten Torhütern der zweiten Liga gehörte. Seit seinem Wechsel als Ersatztorhüter zum BVB kam er immerhin schon zu 17 Spieleinsätzen, unter anderem in der Champions League.
Goalguard hatte die Möglichkeit, sich mit Alexander über seinen sportlichen Werdegang, seinen Umgang mit mehreren schweren Verletzungen, seine Arbeit mit einem Mentaltrainer sowie über seine Rolle und Aufgabe als Ersatztorhüter zu unterhalten.
Artur Stopper Alexander, seit dem Sommer 2022 stehst du bei Borussia Dortmund als Nummer zwei hinter Gregor Kobel unter Vertrag. Warum war deine Entscheidung für den BVB trotz wenig Spieleinsätzen auch im Nachhinein richtig?
Alexander Meyer Vor meinem Wechsel war ich drei Jahre lang beim Zweitligisten Jahn Regensburg die klare Nummer eins. Trotzdem hatte ich immer das Ziel, noch einmal in die erste Bundesliga zurückzukehren. Vor meinem Wechsel zum BVB war ich mir eigentlich bereits mit einem anderen Erstligisten einig, bei dem mir ein offener Konkurrenzkampf um die Nummer eins versprochen worden war. Kurz vor der Vertragsunterschrift kam die Anfrage aus Dortmund. Da war für mich klar, dass ich zu diesem Verein wechseln wollte. Natürlich hätte ich gerne weiterhin gespielt, aber für diesen großen Verein war ich auch bereit, mich auf die Bank zu setzen, weil man bei diesem Klub ganz anders im Fokus steht. Zudem war mir klar, dass die Nummer eins bei der hohen Anzahl an Spielen, die man bei diesem Verein durch die Champions League, Länderspiele, Klub-WM oder im DFB-Pokal zusätzlich absolvieren muss, nicht alle Spiele machen kann. Deswegen war meine Hoffnung, dass ich auf großer Bühne auch den ein oder anderen Einsatz bekommen würde, was auch so gekommen ist. Deswegen war meine Entscheidung auch im Nachhinein absolut richtig.
Artur Stopper Du wurdest beim HSV ausgebildet und standest anschließend im Nachwuchsteam der Hanseaten sowie bei den Regionalligisten TSV Havelse und Energie Cottbus unter Vertrag. Erst mit 26 Jahren ist dir der Sprung in die Bundesliga gelungen. Wie erklärst du dir, dass du erst so spät in den Fokus der ersten und zweiten Bundesliga gerückt bist?
Alexander Meyer Ich hatte im Zeitraum zwischen 19 und 23 Jahren drei schwere Verletzungen, so dass ich in dieser Zeitspanne ca. 2 ½ Jahre ausfiel. Weil beide Schultern operiert wurden, war ich fast zwei Jahre lang nicht einsatzfähig. Hinzu kam ein Knorpelschaden im Knie, der mich noch einmal 7 Monaten außer Kraft setzte. Diese Jahre sind normalerweise genau der Zeitraum, wo ein junger Torhüter den Sprung in den Profibereich schaffen sollte. Diese Verletzungen hatten mich aber enorm zurückgeworfen. Deswegen blieb mir zunächst nur die Regionalliga. Zum Glück konnte mein Körper alle Verletzungen gut verarbeiten, so dass ist wieder gesund zurückkam. Aber natürlich schauten andere Vereine bei Interesse an meiner Person auch auf meine Verletzungsvita und stellten fest, dass ich eigentlich nur verletzt war. Deswegen war der Schritt in den Profibereich für mich besonders schwer.
Artur Stopper Beim VfB Stuttgart warst du als Nummer zwei hinter Ron-Robert Zieler verpflichtet worden. Zwei Jahre lang hast du diese Rolle ohne eigene Spielminuten ausgefüllt. Wie übersteht man als Leistungssportler eine solche Zeit, ohne zu verzagen?
Alexander Meyer Du hast richtig erkannt, dass das keine einfache Zeit für mich war. Nach meiner Ankunft in Stuttgart war zunächst alles neu für mich. Ich kam in eine ganz andere Welt, da ich ja aus der Regionalliga zum VfB gewechselt war. Zunächst war ich froh, überhaupt in der Bundesliga angekommen zu sein, jedoch irgendwann wollte ich auch gern spielen. Aber meine Situation konnte ich nur durch Leistungen beeinflussen. Leider zog ich mir im zweiten Jahr einen Riss des vorderen Kreuzbandes zu mit der Folge, dass ich erneut ein halbes Jahr ausfiel. Die Folge war, dass ich anschließend nur noch die Nummer drei im Kader war und mein Vertrag nicht mehr weiterlief, was eine große Enttäuschung für mich war. Auf der anderen Seite hat sich dadurch für mich die Tür nach Regensburg geöffnet. Alles hatte wohl seinen Sinn und Zweck. Ich wollte wieder spielen, auch wenn es nur noch in der zweiten Liga war. Aber auch in dieser Liga hatten wir mit Schalke 04, dem Hamburger SV, Hannover 06, dem 1.FC Nürnberg oder dem abgestiegenen VfB Stuttgart große Gegner. Deswegen bin ich froh, dass ich den Step zu Jahn Regensburg gemacht habe und dort drei Jahre lang in der zweiten Liga mit viel Erfolg die Nummer eins war.
Artur Stopper Was hast du aus dieser Situation als Erfahrung für deine weitere Karriere mitgenommen?
Alexander Meyer Während meiner Zeit in Stuttgart durchlebte nicht nur ich, sondern auch der gesamte Verein eine sportlich schwierige Zeit. Obwohl der Verein eigentlich oben angreifen und international spielen wollte, standen wir plötzlich im Abstiegskampf. Zwei Trainer mussten in dieser Zeit gehen. Trotz dieser auch für mich individuell schwierigen Situation habe ich mich immer reingehauen, gut trainiert und gute Energie in die Mannschaft eingebracht. Im Nachhinein war es der richtige Weg, denn wenn ich nicht so gut vorbereitet gewesen wäre, hätte ich wohl in Regensburg nicht so gut eingeschlagen. Denn sowohl körperlich als auch mental war ich trotz der schwierigen Situation auf einem Top-Level, weil ich mich bereits auf die Zeit danach vorbereitet hatte. Insofern habe ich gelernt, dass sich Anstrengung immer lohnt.
Artur Stopper Als Ersatztorhüter muss man manchmal lange auf Einsätze und auf seine Chance warten. Meist erhält er diese nur, wenn die Nummer eins verletzt ist, eine Schwächephase durchlebt oder durch ein Spielverbot (Rote Karte) nicht einsatzfähig ist. Wie kann eine Nummer zwei trotz dieser ungewissen Wartezeit die Motivation hochhalten?
Alexander Meyer Speziell in Dortmund weiß ich ja, dass ich schnell gebraucht werden kann. Das kann von jetzt auf gleich passieren, dass man plötzlich im Tor steht. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein halbes Jahr oder einige Wochen nicht gespielt hat. Man muss sofort seine Leistung vor 80 000 Zuschauern und in der Champions League abrufen, denn beim BVB ist man auf Vereinsebene sofort auf der größtmöglichen Bühne, die es im Fußball gibt. Ich habe diese Rolle angenommen und versuche, in meiner Rolle das bestmögliche daraus zu machen. Das ist nicht immer einfach, wenn mir der Wettkampf und die Spiele am Wochenende fehlen. Aber ich habe mich für diese Rolle entschieden und muss sie durchziehen. Wenn ein Torhüter damit nicht klarkommt, muss er wieder einen neuen Weg einschlagen. Bei meinen Spieleinsätzen habe ich gemerkt, dass ich auf diesem Level mithalten und performen kann. Das ist für mich Motivation genug, diese Rolle weiterhin auszufüllen.
Artur Stopper Jeder Spieler füllt in einer Mannschaft eine bestimmte Rolle und Aufgabe aus. Wie siehst du deine Rolle und dein Aufgabenfeld als Ersatztorhüter beim BVB? Was kann ein Ersatztorhüter zum Erfolg der Mannschaft beitragen?
Alexander Meyer Da mir erstmal nur das Training unter der Woche bleibt, um mich zu zeigen, liegt darauf der Fokus bei mir. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich am Wochenende spiele oder nicht, ich gebe immer Gas. Die Leute merken, ob da jemand ist, der Power und Energie reinbringt. Es ist wichtig, im Training Dinge zu erarbeiten und nicht locker zu lassen. So habe ich meine Aufgabe ab Tag eins angenommen. Ich bin für jeden Spaß zu haben und komme mit allen gut klar, aber in Spielformen im Training möchte ich immer gewinnen und versuche immer auf Gregor Kobel Druck zu machen. Er muss merken, dass hinter ihm einer ist, der nicht locker lässt, um ihn dadurch noch besser zu machen.
Artur Stopper Deinen ersten Einsatz im BVB-Trikot hattest du ausgerechnet im ersten Gruppenspiel der Champions League gegen den FC Kopenhagen. Kannst du uns teilhaben lassen an deinen Gedanken und Gefühlen vor dem Spiel und der Schlafdauer in der Nacht vor dem Spiel?
Alexander Meyer Im Abschlusstraining musste Gregor verletzungsbedingt in die Kabine gehen. Nach dem Training teilte mir Edin Terzic mit, dass Gregor ausfallen wird und ich zum Einsatz kommen werde. Ich habe mich tierisch auf den Einsatz gefreut und konnte auch gut schlafen. Natürlich war ich ein bisschen angespannt. Aber ich nahm mir vor, die Möglichkeit, mit 31 Jahren und nach vielen Tiefschlägen noch einmal Champions League zu spielen, zu genießen. Im Beisein meines Vaters und meines besten Freundes, die beide noch kurzfristig angereist waren, war das Spiel für mich Freude pur. Bereits ab dem Aufwärmen genoss ich das Spiel. Ich weiß noch genau, dass ich mit einem Lächeln aus der Kabine auf Feld hinausgegangen bin und eine gute Leistung abgeliefert habe.
Artur Stopper Die Arbeit mit einem Mentaltrainer wurde früher im Profifußball gerne belächelt und dem Spieler eher als Schwäche ausgelegt. Warum ist ein Mentaltrainer für dich ein wichtiger Begleiter im Profifußball?
Alexander Meyer Ich habe mit der Zeit gemerkt, wie wichtig es ist, auch mit dem Kopf zu arbeiten. Man trainiert jeden Tag das Körperliche, aber letztlich ist der Kopf noch wichtiger. Auf diesem Leistungsniveau entscheiden Kleinigkeiten. Besonders als Torhüter ist es wichtig, am Mindset zu arbeiten, damit man im Spiel sehr stabil ist. Auch um in meiner Rolle als Ersatztorhüter immer motiviert zu bleiben, hat mir das Mentaltraining extrem geholfen. Mit meinem Mentaltrainer, der inzwischen ein guter Freund von mir geworden ist, arbeite ich an verschiedenen Themen. Bereits vor unserer Zusammenarbeit hatte ich einige Bücher zu diesem Thema gelesen, um meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Nicht jeder Sportler hat einen Zugang zum Mentaltraining, aber mir hilft diese Trainingsform extrem.
Artur Stopper Leipzigs Stammtorhüter Peter Gulasci hat sich vor kurzem für eine Torwart-Rotation bei RB Leipzig ausgesprochen, weil die Belastungen durch mehr Wettbewerbe (Champions League, Nation League, Nationalmannschaft usw.) immer mehr zunehmen. „In ein paar Jahren wird es normal sein, dass auch bei den Torhütern rotiert wird", sagte der ungarische Nationaltorhüter in einem Interview der Sportbild. Wie denkst du darüber?
Alexander Meyer Die Anzahl der Spiele hat auf hohem Leistungslevel durch zusätzliche Wettbewerbe wie die Zunahme an Champions-League-Spielen oder die Klub-WM in den vergangenen Jahren zugenommen. Möglicherweise werden zukünftig noch Spieltage im Ausland hinzukommen. Deshalb könnten Überlegungen in diese Richtung sinnvoll sein, damit sich auch die Torhüter von der hohen mentalen Belastung erholen können. Aber es kommt auch auf die Konstellation im Verein an. Ein junger Torhüter muss Spieleinsätze bekommen, damit er sich auf diesem Level entwickeln kann, während bei uns die Situation so ist, dass ich nur spiele, wenn Gregor nicht einsatzfähig ist. Deshalb macht im ersten Fall Rotation zusätzlich Sinn.
Artur Stopper Während Rotation auf allen anderen Positionen inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, tut man sich auf der Torwartposition schwer. Warum ist das so?
Alexander Meyer Oft wird gesagt, dass sich der Torwart und die Abwehrkette einspielen müssen und ein Torhüter nur in seinen Rhythmus kommt, wenn er ständig spielt. Manche Torhüter brauchen dieses Gefühl. Ich selbst hätte kein Problem damit, nach einigen Spieleinsätzen herausgenommen zu werden, ich hätte kein schlechteres Gefühl. Andere Torhüter wären bei vielen Spielen froh, wenn sie einmal durchatmen könnten, weil die mentale Belastung schon sehr hoch ist. Denn eine kleine Pause könnte helfen, bei den wichtigen Spielen wieder mental da zu sein. Aber jeder ist anders. Vielleicht werden wir schon in wenigen Jahren eine Änderung sehen, wenn einige Vereine die Rotation noch mehr anschieben. Bayer Leverkusen hat das bereits in der vergangenen Saison so geregelt, dass der eine Torwart in der Bundesliga spielte und der andere international oder im DFB-Pokal zum Einsatz kam.
Artur Stopper Du hast bei Borussia Dortmund noch einen Vertrag bis zum Juni 2026. Weißt du schon, wie dein sportlicher Weg weitergehen wird, und welche Ziele hast du für deine Zukunft nach der sportlichen Karriere?
Alexander Meyer Wir sind bereits in Gesprächen über meine weitere sportliche Zukunft beim BVB. Viel müssen wir aber nicht besprechen, weil jede Seite weiß, was sie an der anderen hat. Alles andere wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Mein Ziel nach der sportlichen Karriere wird sein, weiterhin im Fußballbereich zu bleiben. Unklar ist noch in welcher Funktion. Fußball hat mein ganzes Leben bestimmt, und das wird wohl auch nach meiner Karriere der Fall sein.
Artur Stopper Vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast, und wünschen dir auf deinem weiteren Weg alles Gute.
