Die deutsche U-17-Nationalmannschaft hat in Indonesien den WM-Titel 2023 errungen. In besonderer Weise trug Konstantin Heide von der SpVgg Unterhaching zu diesem Erfolg bei. Erst durch den verletzungsbedingten Ausfall von Stammkeeper Max Schmitt (Bayern München) war er im Halbfinale gegen Argentinien und im Finale gegen Frankreich zum Einsatz gekommen. In beiden Spielen hielt er im Elfmeterschießen jeweils zwei Elfmeter und avancierte dadurch zum WM-Helden.
Bis zu seinem Wechsel im vergangenen Sommer als Torwarttrainer zum Frauenteam des Bundesligisten RB Leipzig war Michael Gurski für die Ausbildung der Torhüter beim Drittligisten SpVgg Unterhaching zuständig und hatte daher auch Konstantin Heide unter seinen Fittichen. Goalguard sprach mit Michael Gurski über seine Zeit und Zusammenarbeit mit Konstantin, über seine Gefühle nach dem Final-Erfolg, über den Werdegang und die Qualitäten des Hachinger Torwarttalents sowie dessen mögliche Zukunftsperspektiven im Profi-Fußball.
Artur Stopper Michael, die U17-Nationalmannschaft wird frenetisch für den Gewinn des Weltmeistertitels gefeiert. Mit Torwart Konstantin Heide ist ausgerechnet dein ehemaliger Schützling zum Helden des Teams aufgestiegen, weil er im Elfmeterschießen sowohl im Halbfinale gegen Argentinien als auch im Finale gegen Frankreich mit je zwei gehaltenen Elfmetern entscheidend zum großartigen Erfolg beigetragen hat. Was hast du in diesem Moment gefühlt?
Michael Gurski Ich verfolgte das Endspiel im ICE auf dem Weg von München zurück nach Leipzig und unterhielt wohl das halbe Zugabteil. Es war für mich ein außergewöhnliches Gefühl, weil ich Konstantin den Erfolg überaus gönne. Bis zum vergangenen Sommer habe ich mit ihm gearbeitet und seine ganze Verletzungsgeschichte durchlebt, den Meniskuseinriss, die OP, und dann war auch noch das andere Knie angeschlagen. Bis auf den letzten Drücker hatten wir ihn in Einzel- und Aufbautraining auf die Teilnahme an der Europameisterschaft im Frühjahr dieses Jahres vorbereitet und seine Bereitschaft gesehen. Deshalb gönne ich ihm diesen besonderen Erfolg von Herzen. Wie er in seinen beiden Spieleinsätzen performt hat, war schon extrem souverän und cool.
Artur Stopper Seit 2016 ist die SpVgg Unterhaching die sportliche Heimat von Konstantin Heide. Ab der U11 gehört er diesem Verein an. Ab wann erkennt man als Torwarttrainer, ob ein außergewöhnliches Talent heranwächst, und welche Voraussetzungen hat Konstantin bereits dafür mitgebracht?
Michael Gurski Ich denke, dass man ab dem Alter von 15 oder 16 Jahren schon erkennen kann, wohin die Reise gehen könnte, ob ein Talent unter anderem aufgrund von Körpergröße oder bestimmten Voraussetzungen den Sprung ins obere Regal im Profifußball schaffen kann, oder ob es am Ende des Tages eventuell für den bezahlten Fußball reicht, aber eben nicht ganz nach oben. Bei Konstantin war es so, dass er durch die Gene seines Vaters, einem ehemals erfolgreichen Handball-Torwart mit annähernd zwei Meter Größe, eine gewisse körperliche Präsenz in die Wiege gelegt bekam, auch wenn er anfangs noch sehr schmächtig war. Daneben bringt Konstantin aber bereits etwas mit, was nicht viele Torhüter haben, nämlich eine außerordentliche Quote. Selbstverständlich sind Technik und Entscheidungsfindung wichtige Faktoren bei einem Torhüter. Aber wenn es ein junger Keeper wie er schafft, beim Torschuss, in 1gegen1-Situationen oder in Spielen eine hohe Erfolgsquote zu haben und für seine Mannschaft Spiele gewinnt, dann reift bei einem Trainer schon die Fantasie, dass aus diesem Jungen etwas Größeres werden könnte.
Artur Stopper Zusammen mit seinen Eltern ist Heide trotz Abwerbungsversuchen größerer Vereine immer den Weg Unterhaching gegangen. Mit welchen Argumenten konntet ihr die Eltern und Sohn von eurem Konzept überzeugen und den Jungen in Haching halten?
Michael Gurski Das pragmatischste Argument war, dass Konstantin auf einer sehr guten Schule ist und sein Vater deshalb klar vorgab, dass er sein Abitur zu Hause zu Ende bringen soll. Konstantin hat ein Elternhaus, das sehr wohl erkennt, dass ihr Sohn ein gewisses Talent mitbringt, aber ein guter Abiturabschluss für sie zunächst im Vordergrund steht. Selbst als der erste Kontakt zur Nationalmannschaft begann, ließen sie sich von ihrer Einstellung und Denkweise nicht abbringen. Konstantin hat die bodenständigsten und vernünftigsten Eltern, die ich bisher kennengelernt habe. Ich glaube aber auch, dass Konstantin und seine Eltern das Hachinger Konzept, die Torhüter selbst auszubilden und sie irgendwann einfach reinzuwerfen, wenn sie gut genug sind, überzeugt hat. Denn durch diesen Weg konnte er weiterhin zu Hause wohnen und sich trotzdem die Chance erhalten, irgendwann die ersten Schritte im Profifußball zu machen. Dieses Gesamtpaket, verbunden mit der Überzeugungsarbeit und Erfahrung von Unterhaching-Präsident Manni Schwabl und dem damaligen Cheftrainer Sandro Wagner sowie dem Versprechen, Konstantin weiter zu fördern, hat die Eltern wohl davon überzeugt, dass es der Weg in Unterhaching für ihren Sohn der beste ist.
Artur Stopper Abseits des Fußballs wird Heide als besonnen, fast schon zurückhaltend beschrieben, in früheren Zeiten eher noch als schüchtern. Im Spiel hingegen macht er einen anderen Eindruck. Er gibt lautstark Kommandos, tritt selbstbewusst auf und feuert seine Mitspieler an. Wie habt ihr diese Emotionen aus ihm herausgekitzelt?
Michael Gurski Ein Baustein unseres Ausbildungskonzeptes waren immer auch die Themen Kommunikation und Coaching. Wir unterscheiden dabei zwei Aspekte. Das eine ist das Coaching, das sogenannte Dirigieren, bei dem der Torhüter seine Mitspieler in die bestmögliche Abwehrposition einweist. Die andere Coachingart bezeichnen wir mit dem Begriff Nachaktion. Hier geht es darum, dass der Torhüter seinen Mitspielern nach der Aktion eine kurze Rückmeldung gibt, ob die Anweisungen des Torhüters richtig umgesetzt wurden. Im besten Fall ist dies ein Lob an die Mitspieler, aber es kann auch ein kurzer Hinweis sein, was das nächste Mal besser umgesetzt werden muss. Es ist also nicht damit getan, dass der Torhüter nur dirigiert, sondern genauso wichtig ist, den Mitspielern zurückzumelden, ob die Aktion gut gelöst war oder was nicht gepasst hat. Diese Kommunikation ist wichtig, denn eine Mannschaft braucht einen Torhüter, der lebt. Denn ein Torhüter, der präsent auftritt und seine Abwehr im Griff hat, ist für das Team mindestens genauso wichtig wie ein Keeper mit einer guten Technik.
Artur Stopper Eigentlich war Heide nur als Nummer zwei im Team vorgesehen. Erst die Erkrankung von Max Schmitt (FC Bayern), der etatmäßigen Nummer eins, ebnete ihm den Weg ins Team. Seine Leistung wird in den Medien vor allem an den gehaltenen Elfmetern festgemacht. Für mich ist mindestens so beeindruckend, wie selbstsicher er performt hat und mit der Drucksituation umgegangen ist. Für dich auch?
Michael Gurski Zweifellos hatte Konstantin im Vorfeld das Glück, dass Max Schmitt aufgrund einer Erkrankung ausfiel und Timo Schlieck (RB Leipzig), der ansonsten wohl die Nummer eins gewesen wäre, überhaupt nicht dabei war. Aber Konstantin hat seine Chance genutzt und sofort großartig performt. Man hatte bei ihm das Gefühl, dass der Erwartungsdruck und die besondere Situation an ihm abprallten. Ich hoffe, dass er diese Gelassenheit auch zukünftig behält. Außerdem hatte er wieder eine überzeugende Quote.
Artur Stopper Das Finale wurde als „Sieg der Mentalität“ bezeichnet, eine Tugend, die in Deutschland in der A-Nationalmannschaft vermisst wird. Auch Heide hat diese Eigenschaft in besonderem Maße verkörpert. Hatte er diese Mentalität bereits im Blut, oder wie habt ihr sie ihm vermittelt?
Michael Gurski Ich glaube, dass es schwierig ist, jemandem eine Mentalität beizubringen. Nach meinen Erfahrungen ist sie bereits vorhanden, kann aber vom Trainer noch mehr herausgekitzelt werden. Konstantin hatte immer schon den Hang, sich zu pushen, wir haben diese Anlage nur multipliziert. Ich war selbst der Typ Torhüter, der von Emotionen gelebt hat. Insofern war es für mich einfach, dieses Verhalten auf ihn zu übertragen. Mentalität ist meiner Meinung nach enorm wichtig, um Großes zu bewirken, wie die WM gezeigt hat. Denn diese Mentalität war nicht nur bei ihm, sondern auch in großen Teilen der Mannschaft vorhanden. Konstantin hat diesen Biss-Modus noch zur Perfektion getrieben. Mit seinem Auftreten trug er für mich entscheidend dazu bei, dass auch die gesamte Mannschaft ihr Leistungsvermögen abgerufen hat. Insofern hat er einen großen Beitrag zum WM-Erfolg geleistet.
Artur Stopper Unterhachings Präsident Manfred Schwabl ist überzeugt, dass Heide alle Voraussetzungen für „eine große Karriere“ mitbringt. Er habe die Größe, den Charakter und die Coolness. Stimmst du mit ihm überein, und hat er noch wichtige Stärken von ihm vergessen?
Michael Gurski Ganz grundsätzlich, wenn Manni etwas sagt, werde ich ein Gegenposition vermeiden (lacht). Mit diesen Attributen hat er ihn aber richtig beschrieben. Bei Konstantin spielt aber das Thema Gesundheit eine große Rolle, weil er verletzungsanfällig ist. Seine Art der Torwartspiels baut auf guten körperlichen Voraussetzungen auf, denn er kommt über Power und Dynamik. Um gesund zu bleiben, braucht er deshalb eine gute Betreuung durch Athletiktrainer, Physios und gute Ernährungsberatung. Die Erhaltung der Gesundheit ist das Allerwichtigste bei ihm. Ansonsten ist Konstantin keiner, der gefährdet ist, auf seinem weiteren Weg falsch abzubiegen. Er hat bis heute keinen Berater. Sein Vater ist der Meinung, dass er in Unterhaching alles hat, was er im Moment braucht, und dass man immer noch einen Berater holen kann, wenn es um die ganz große Karriere gehen sollte. Topp ist bei ihm, dass er unfassbar schnell ist. Konstantin ist kein Perfektionist in technischen Abläufen, aber er ist extrem schnell auf den Beinen und äußerst dynamisch in seinen Bewegungen. Ich vergleiche ihn gerne mit einem Zauberer, weil er die Hände in der Abwehrhaltung fast magisch hin- und herschwingt. Zudem hat Konstantin eine sehr gute Antizipation, d.h. er erkennt schon Situationen, bevor sie eintreffen. Er hat die Fähigkeit, immer schon da zu sein, bevor der Ball kommt.
Artur Stopper Michael, ich bedanke mich dafür, dass du dir Zeit für uns genommen hast, und wünsche dir genauso viel Erfolg mit den Torhüterinnen von RB Leipzig.