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Die Älteren unter uns werden sich noch gut an die 90er-Jahre erinnern, als der erfolgreichste Klub in England Manchester United hieß, in dieser Dekade allein 7-mal englischer Meister wurde und zu den Top-Drei in Europa gehörte. Im Sommer 1999 krönten die Reds diese sportlich überaus erfolgreiche Zeit mit dem Gewinn der Champions League gegen Bayern München. In dieser Phase war Raimund van der Gouw sechs Jahre lang Ersatztorhüter hinter zwei der besten Torhüter dieser Zeit, nämlich dem Dänen Peter Schmeichel und dem Franzosen Fabien Barthez, kann aber auch selbst 60 Einsätze in der Premiere League vorweisen. Nach seiner Spielerkarriere arbeitete er ab 2007 als Torwarttrainer beim FC Sunderland, Vitesse Arnheim, PSV Eindhoven und zuletzt bei Schachtar Donezk.

Goalguard hatte die Möglichkeit, im Rahmen des Torwarttrainer-Seminars von Safehands in Bregenz ein Interview mit dem Niederländer zu führen. Darin äußerte sich Raimund über seinen Weg zu den Reds, seiner täglichen Arbeit mit den beiden Welttorhütern sowie seinen Erlebnissen beim ukrainischen Spitzenklub Schachtar Donezk in einem vom Krieg gebeutelten Land.

Artur StopperArtur Stopper Raimund, du hast bei Manchester United in der überaus erfolgreichen Zeit des Klubs in den 90er-Jahren gespielt. Wie sehr berührt dich mit dem Abstand von über 20 Jahren die seit Jahren sportlich unbefriedigende Situation des Vereins?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Es ist schmerzhaft für mich, den Verein in dieser Lage zu sehen. Ich kenne die Ziele, die der Verein verfolgt, und ich weiß, woher der Klub kommt. Deshalb ist es nicht schön, United dort stehen zu sehen, wo sie jetzt sind. Ich hatte das Glück, zum richtigen Zeitpunkt bei den Reds zu sein, denn zu dieser Zeit war der Verein einer der überragenden Vereine in England und in Europa. Es ist schwer zu ertragen, die Mannschaft seit mehreren Jahren nicht mehr im obersten Fußballregal zu sehen.

Artur StopperArtur Stopper Nach acht Jahren als Nummer eins in der niederländischen Eredivisie bei Vitesse Arnheim bist du zur Saison 1996/97 mit bereits 33 Jahren zu Manchester United gewechselt. Wie hast du den Wechsel von einem kleinen niederländischen Verein zum damals vielleicht größten Klub Europas erlebt?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich hatte immer den Wunsch, einmal in England zu spielen. Es gab einen Spielermittler, dem mein Wunsch bekannt war. Er informierte mich, dass er in England einen Klub für mich hätte. Er wollte mir aber nicht verraten, welcher Klub es war. Er sagte mir nur, was ich dort verdienen konnte. Da ich immer noch das Angebot und den Verein ausschlagen konnte, wenn ich nicht wollte, flogen wir zusammen nach England. Während des Fluges gestand er mir dann, dass es um Manchester United gehe. Bei der Landung nahm uns bereits Alex Ferguson (Trainerlegende bei United, Anmerkung der Redaktion) in Empfang und mit ins Stadion. Dort führten wir die Gespräche. Zusätzlich wurde ein Gesundheitscheck bei mir durchgeführt. Das Ergebnis der Reise war, dass ich vor dem Rückflug einen Dreijahresvertrag unterzeichnet hatte, obwohl mir klar war, dass ich nicht die Nummer eins sein würde.

Artur StopperArtur Stopper Zur damaligen Zeit stand mit Peter Schmeichel einer der besten Torhüter der Welt und zweimaligem Welttorhüter (1992/1993) zwischen den Pfosten. Warum hast du trotzdem diese Entscheidung getroffen?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich machte mir klar, dass man nie wissen kann, was passiert. Eine Nummer eins kann sich immer verletzen, dann hat der Ersatztorhüter eine Chance. Aber ich war immerhin bei einen europäischen Top-Klub die Nummer zwei. Zudem wollte ich immer schon die Erfahrung machen, wie es ist, zusammen mit einem Top-Torhüter zu trainieren. Insofern war ich sehr neugierig auf Peter Schmeichel.

Wie hast du die Zusammenarbeit mit Schmeichel erlebt, und was hast du an deinem damaligen Konkurrenten besonders beeindruckt?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich hatte ihn bereits viele Male im Fernsehen gesehen und war von ihm beeindruckt. Deshalb wollte ich schon immer wissen, wie er als Person ist und wie er trainiert. Die Möglichkeit hatte ich nun. Ich war beeindruckt von seiner Persönlichkeit, seinem inneren Antrieb und seinem Einsatzwillen. Aber ich wollte mich mit seinem Niveau messen.

Artur StopperArtur Stopper Neben dem zweimaligen Welttorhüter Schmeichel (1992/1993) hast du auch zwei Spielzeiten hinter Fabien Barthez auf der Bank gesessen, dem Welttorhüter 2000. Welche Eigenschaften und Fähigkeiten haben absolute Spitzentorhüter wie Schmeichel oder Barthez anderen Torhütern noch voraus?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Das ist schwer zu erklären. Diese Torhüter besitzen etwas Besonderes. Nehmen wir das Beispiel Manuel Neuer. Es gibt viele hervorragende Torhüter, aber Manuel Neuer hat noch ein bisschen mehr. Das kann man nicht erklären, aber sehen. Spitzentorhüter haben bessere Reflexe, treffen bessere Entscheidungen, sie sind einfach außergewöhnlicher. Man muss das mit den eigenen Augen gesehen haben, dann ist man überzeugt. Sie besitzen natürlichere, nicht antrainierte Bewegungen, angeborenes Talent, das ein Torhüter hat oder nicht. Als Torhüter kann man hart arbeiten, wird aber nie das erreichen, was diese Spieler haben.

Artur StopperArtur Stopper Dein sportlich größter Erfolg war sicherlich der Sieg im Champions-League-Finale 1998/99 gegen Bayern München, das United mit zwei Toren innerhalb von zwei Minuten in der Nachspielzeit mit 2:1 gewann. Welche Erinnerungen von diesem Finale sind noch heute für dich präsent?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich bin sehr zufrieden, wenn ich daran denke (lacht). Zu Beginn des Spieles saß ich neben Phil Neville auf der Ersatzbank. Er fragte mich, wie das Spiel nach meiner Meinung ausgehen würde. Ich antwortete 2:1 für uns, obwohl mit Roy Keane, der gesperrt war, und dem verletzten Paul Scholes zwei für uns wichtige Spieler fehlten. Nach 15. Minute verwandelte Mario Basler einen Freistoß gegen uns. Anschließend war das Spiel ausgeglichen. Fünf Minuten vor dem Spielende fragte mich Phil erneut, was ich jetzt denke. Ich antwortete ihm, dass es ganz schwer werden würde (lacht). In der 90. Minute gelang uns aber nach einem Eckball der Ausgleich. Natürlich waren wir überglücklich. Keine zwei Minuten später nutzten wir einen weiteren Eckball zum 2:1-Siegtreffer. Ich war noch nie so schnell auf dem Weg von der Bank zum Torschützen wie in diesem Moment. Dreißig Sekunden später war das Spiel zu Ende.

Artur StopperArtur Stopper In deine aktive Zeit fiel 1992 die Einführung der Rückpassregel, die das Torwartspiel grundlegend veränderte. Torhüter mussten nun mit dem Fuß spielen können, was neue Anforderungen an ihre Technik stellte. Wie hast du damals die Umstellung erlebt?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Für den Torhüter war es eine sehr große Umstellung. Ich war durch Herbert Neumann, unseren damaligen deutschen Trainer bei Vitesse Arnheim, schon ein bisschen darauf vorbereitet. Er hat mit uns im Training bereits geübt und uns Tipps gegeben, was wir in dieser Situation tun sollten. Es war am Anfang nicht einfach für mich. Aber ich musste wie alle anderen die neue Herausforderung annehmen.

Artur StopperArtur Stopper Dein Landsmann Edwin van der Sar steht wie kein anderer für die Entwicklung des modernen Torwartspiels. Trainer Louis van Gaal band ihn bereits in den 90er-Jahren als mitspielenden Torhüter in das Spiel von Ajax Amsterdam ein. Sein Torwartspiel war innovativ und mitentscheidend für eine außergewöhnliche Erfolgsserie von Ajax Amsterdam in den 1990er-Jahren. War dieser Denkansatz in den Niederlanden früher verbreitet als in Deutschland oder Europa?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich denke, dass Johann Cruyff in seiner Zeit als Trainer beim FC Barcelona der erste war, der den Torhüter wie einen weiteren Feldspieler einsetzte. Bei Ajax Amsterdam stand zu dieser Zeit Stanley Menzo zwischen den Pfosten, der ein sehr guter Torhüter war, auch bereits mit den Füßen. Es war also bereits vor Edwin van der Sar eine Entwicklung in dieser Richtung eingeleitet. Wahrscheinlich war dieser Denkansatz durch Johann Cruyff in den Niederlanden schon früher vorhanden.

Artur StopperArtur Stopper Du warst 22 Jahre Profi-Torhüter. Welche persönlichen Erfahrungen, die du in deiner Profizeit auch neben dem Trainingsplatz gemacht hast, versuchst du als Torwarttrainer jungen Torhütern zu vermitteln und weiterzugeben?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich habe als Torhüter nicht in einem großen Verein angefangen, sondern mich über einem Amateurverein step by step hochgearbeitet. Mit 22 Jahren habe ich den ersten Profivertrag unterschrieben und bin mit 33 Jahren ganz oben bei Manchester United angekommen. Weil ich alle Entwicklungsstufen kennen gelernt habe, kann ich als Torwarttrainer gut erkennen, wo ein Torhüter leistungsmäßig steht und wo ich ihn noch entwickeln kann. Zudem habe ich die meiste Zeit bei United vor allem auf der Ersatzbank verbracht und kann mich deshalb gut in die Gemütslage einer Nummer zwei einfühlen. Natürlich kann ich jedem Torhüter von meinen Erfahrungen berichten und ihm Ratschläge geben, die Entscheidung, was für ihm am besten ist, kann ich ihm aber nicht abnehmen, die muss er selbst treffen.

Artur StopperArtur Stopper Zuletzt hast du 1 ½ Jahre als Torwarttrainer beim ukrainischen Spitzenklub Schachtar Donezk gearbeitet. Wie kam diese Tätigkeit zustande?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Ich bekam einen Anruf eines Freundes, der mich als Torwarttrainer in seinem Trainerteam haben wollte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Klub, aber ich versprach ihm, ihn zu einem neuen Verein zu begleiten. Zwei Monate später rief er mich wieder an und fragte, ob unsere Abmachung noch gelte, was ich bejahte. Mulmiger wurde es mir allerdings, als ich erfuhr, dass unser Ziel Schachtar Donezk in der Ukraine heißt und ein Kriegsgebiet ist. Deshalb musste ich mir gut überlegen, wie ich diesen Schritt meiner Frau und meinen Kindern vermitteln konnte. Nach vielen gemeinsamen Gesprächen haben wir die Entscheidung getroffen, dass ich in die Ukraine gehe, weil ich in meinem Alter noch einmal die Chance nutzen wollte, in einem europäischen Top-Klub zu trainieren.

Artur StopperArtur Stopper Wie hast du die Zeit in einem Kriegsland erlebt?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Die Tätigkeit in der Ukraine war ein sehr großes Abenteuer und eine außergewöhnliche Lebenserfahrung. Danach ich habe gemerkt, wie schön es ist, wieder zu Hause zu sein. Ich habe viele schöne, aber auch viele abscheuliche Momente in der Ukraine erlebt. Wir haben jeden Tag schreckliche Bilder im Fernsehen gesehen. Die Ukrainer selbst waren überaus herzlich und dankbar, dass wir trotz aller Gefahren den Weg zu ihnen genommen haben und wahrnehmen, was Putin mit ihnen anrichtet.

Artur StopperArtur Stopper Wie muss man sich die Trainingsarbeit und den Spielbetrieb in einem vom Krieg gebeutelten Land wie der Ukraine vorstellen?

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Jeder von uns hatte eine Warn-App, aus der man ersehen konnte, wo Explosionen erfolgen werden. Ich selbst war nie in der Stadt Donezk. Unsere Heimspiele trugen wir in Lwiw im Westen der Ukraine in der Nähe der polnischen Grenze aus und lebten und trainierten in Kiew. Die Fahrtstrecke von Lwiw nach Kiew betrug ca. 6 Stunden. Da wir nicht fliegen konnten, mussten wir die weite Strecke immer mit dem Bus hinter uns bringen. Von Kiew aus starteten wir bei Auswärtsspielen zu den anderen Klubs mit dem Bus. Aufgrund der Größe des Landes waren die Entfernungen manchmal riesig, so dass wir meist sehr lange unterwegs waren.

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Auch der Spieltag selbst war nicht immer einfach. Sobald ein Alarm ertönte, wurde das Spiel unterbrochen und die Spieler brachten sich in den Katakomben des Stadions in Sicherheit. Wenn nach ca. 20 Minuten Entwarnung erfolgte, wurde das Spiel fortgesetzt. Ein Spiel dauerte einmal fünf Stunden, weil das Spiel dreimal nach einem Fliegeralarm für 20 Minuten unterbrochen worden war. Nach den Unterbrechungen mussten sich die Spieler erneut aufwärmen, wodurch sich das Spiel in die Länge zog. Einmal war ein Spiel wegen Einbruch der Dunkelheit 20 Minuten früher beendet worden. Deshalb mussten wir einige Monate später noch einmal anreisen und die lange Anreise von 6 Stunden erneut auf uns nehmen, damit die restlichen 20 Minuten des Spiels noch zu Ende gespielt werden konnten.

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Aber selbst für uns war das Leben in der Ukraine nicht ungefährlich. Einmal wurde unser Hotel von einer Bombe getroffen. Gott sei Dank waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Auch sonst wurden wir mit dem Kriegsgeschehen konfrontiert. Im Anschluss an ein Spiel gingen wir einmal zu einer Gedenkstätte, die nur 500 Meter vom Stadion entfernt lag. An dieser Stelle war ein Kindergarten bombadiert geworden. Es ergreift einem zutiefst, wenn man die vielen Blumen und Kuscheltiere sieht, die für die Kinder abgelegt worden waren.

Raimund van der GouwRaimund van der Gouw Auch an jedem Spieltag wird man mit dem Krieg konfrontiert. Vor jedem Spiel wird die ukrainische Nationalhymne abgespielt. Anschließend erfolgt eine Gedenkminute für alle Kriegsopfer. Den Anstoß übernimmt dann ein Kriegsverletzter. Einmal war dies ein 15-jähriges Mädchen, das bei einer Explosion ein Bein verloren hatte und den Anstoß mit einer Beinprothese durchführte. Das waren Momente, die mich tief berührt und ergriffen haben. Trotzdem bin ich sehr stolz und dankbar für die Erfahrung, die ich in diesem tollen Verein und mit diesen warmherzigen Menschen erleben durfte. Auch sportlich war es für uns eine erfolgreiche Zeit. In meinem ersten Jahr gewannen wir die ukrainische Meisterschaft und den Pokalwettbewerb, den wir im zweiten Jahr erneut verteidigten.

Artur StopperArtur Stopper Raimund, ich möchte mich bei dir recht herzlich dafür bedanken, dass du dir Zeit für uns genommen und uns Einblicke in dein Leben gegeben hast, und wünsche dir alles Gute für deine weitere Zukunft!

Raimund van der Gouw Schachtar Donezk Premjer-Liha

Artur Stopper

Artur Stopper

Mit über 25 Jahren Erfahrung als Torwarttrainer weiß Artur, wie Torhüter ticken. Deshalb bevorzugt er Themen, die die Welt der Torhüter ausmachen: Vereinswechsel, Tiefschläge, Pechsträhnen, Höhenflüge, Emotionen, Ersatzbank, Halbgötter, Erfolge.

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