Paris St. Germain stellt in dieser Saison unter den europäischen Top-Klubs in einem Aspekt einen Sonderfall dar: Der französische Nobelklub ist der einzige Spitzenverein, der auf eine Rotation zwischen den Pfosten setzt. Dieser Versuch ist nicht neu, aber nach wie vor im Spitzenfußball eher ungewöhnlich. Bereits der FC Barcelona hatte in der Anfangszeit von ter Stegen bei den Katalanen dieses Experiment mit dem Deutschen und dem Chilenen Claudio Bravo gewagt. Und auch Thomas Tuchel stellte während seiner Zeit in Paris abwechselnd Alphonse Areola und Gigi Buffon zwischen die Pfosten des Tores der Hauptstädter. Meist waren die Aufgaben zwischen den beiden Keeper klar verteilt. Einer der Beiden spielte in der Regel in der Meisterschaftsrunde, der andere in den Zusatzwettbewerben (Pokal, Champions League).
Die Torhütersituation bei PSG
Seit der Argentinier Mauricio Pochettino das Sagen hat bei St. Germain, setzt auch PSG auf das Rotationsprinzip auf der Torwart-Position. Für viele Beobachter durchaus überraschend. Denn als der italienische Europameister Gianluigi Donnarumma, der entscheidend am Erfolg Italiens bei der EM 2020 beteiligt war und für seine hervorragenden Leistungen als erster Torhüter überhaupt zum besten Spieler des Turniers ausgezeichnet worden war, bei PSG unterschrieb, hatte der 23-jährige italienische Nationaltorhüter sicherlich andere Pläne, als sich erstmal nur in die bestehende Hierarchie einzureihen, zumal Donnarumma von den Experten in seinen Fähigkeiten ein kleines bisschen höher eingestuft wurde als sein Konkurrent aus Costa Rica. Doch Cheftrainer Mauricio Pochettino wollte Navas, dem bis dato trotz seiner inzwischen 35 Jahre sicheren Rückhaltung, nicht gänzlich auf die Ersatzbank verbannen. Ganz im Gegenteil. In den bisher 27 Spieltagen der französischen Ligue 1 kam Navas 16 Mal zum Einsatz, Donnarumma hingegen 11 Mal. Auch in der Champions League ist das Zahlenverhältnis fast ausgeglichen. Donnarumma hat im bisherigen Verlauf vier Einsätze vorzuweisen, Navas deren drei. Das Gesamtergebnis spricht also eher für Navas. Und noch einen Unterschied gibt es im System Pochettino gegenüber früheren Modellen. Wie die genannten Zahlen zeigen, kommen beide Torhüter in allen Wettbewerben auf in etwa gleiche Einsatzzeiten.
Donnarumma mit anderen Erwartungen
Dass der italienische Europameister bei PSG nicht gesetzt ist, stört den Italiener durchaus. „Es beeinflusst meine Leistungen nicht, aber es stört mich", sagte der Italiener, angesprochen auf die Rotation bei TNT Sports Brasil. "Es ist nicht einfach, weil ich es gewohnt war, gesetzt zu sein." Und er gab zu, dass es ihn verletze, teilweise auf der Bank zu sitzen. „Aber ich bin mir sicher, dass sich die Situation entspannen wird", schloss er ab. Laut Aussagen der spanischen Zeitung ‘El Nacional‘ soll der 23-jährige Schlussmann zeitweise über einen Wechsel zum FC Barcelona im Tausch mit Marc-Andre ter Stegen nachgedacht haben. Der Deal kam aber nicht zustande.
Auch für Navas Situation nicht befriedigend
Auch für Navas war die Rotation nicht die beste Lösung. Schließlich war der 3-malige Champions League-Sieger für 10 Millionen Euro aus Madrid 2019 in die französische Hauptstadt gewechselt, um weiterhin zu spielen, nachdem die Madrilenen den Belgier Thibaut Courtois verpflichtet hatten. „Für uns ist es eine ziemlich umkämpfte Saison. Es ist einerseits immer gut, Konkurrenz zu haben, aber ich denke, auf persönlicher Ebene ist es nicht angenehm, in dieser Situation zu sein. Wir spielen beide gern, wir wollen der Mannschaft helfen. Wir müssen jeden Tag versuchen, die Position zu erobern, arbeiten und den Trainer darauf aufmerksam machen, dass wir mehr spielen dürfen“, äußerte der 35-Jährige nach dem 4:0-Sieg in Reims.
Verantwortliche wollen Wettbewerb auf allen Positionen
Bei allen bisherigen Versuchen der Torwart-Rotation im Spitzenbereich des europäischen Fußballs bleibt eines festzuhalten: Glücklich wurden die Klubs mit diesem Modell eher selten. Thomas Tuchel beendete das Wechselspiel in der Folgesaison. "Wir können so nicht weitermachen", sagte er über die Rotation zwischen Alphonse Areola und Gianluigi Buffon: „Wir sind der erste Klub in der Fußballgeschichte, der das so gehandhabt hat. Aber auf dieser besonderen Position brauchst du Vertrauen und Automatismen.“ Die italienische Sportzeitung ‚Gazzetta dello Sport `berichtete, dass die Personalrochade Pochettinos bereits zu ersten Unruhen in der Kabine führe. PSG-Sportdirektor Leonardo will davon aber nichts wissen. Man wolle „Wettbewerb auf jeder Position“, erklärte der 52-Jährige gegenüber ‚Canal+‘. Die Torhüter-Situation sei „nicht kompliziert. Es wäre kompliziert, wenn wir nicht beide hätten.“ Und schob eine weitere Botschaft hinterher: „Wir sprechen hier über einen 23 Jahren alten Torwart und über Navas, der schon 35 ist“, so Leonardo. Die Botschaft hinter dieser Aussage ist klar: Donnarumma müsse sich gedulden, seine Chance werde kommen. Wie lange der Europameister bereit ist zu warten, wird sich zeigen. Fraglich bleibt, ob PSG mit zwei Top-Torhütern auch in die kommende Saison geht. Navas hat Vertrag bis 2024, Donnarumma bis 2026.
Ohne Zweifel stellt die Torwart-Rotation bei PSG einen durchaus interessanten Versuch dar, auch auf der Torwartposition einen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Denn nach wie vor scheint es ein unumstößliches Dogma zu sein, dass eine Rotation zwischen den Pfosten einen Torhüter verunsichere. Die Frage ist immer noch unbeantwortet, ob diese These stimmt oder eher Egoismen und fest zementierte Grundsätze das Handeln der Trainer bestimmen.
Pochettino wird gute Gründe dafür haben, dieses Wagnis einzugehen. Veränderungen beginnen meist im Kleinen. Interessant ist zu verfolgen, ob wir am Beginn der Veränderung eines Dogmas stehen oder die Zweifler an der Rotation ein weiteres Mal bestätigt werden.