Es gibt Aufreger im heutigen, alltäglichen Mediengewirr, die es nicht verdient haben, dass man ihnen - wenn überhaupt - mehr als einen Tag Aufmerksamkeit schenkt. Und es gibt Aufreger, die schnell wieder in der Wahrnehmung des öffentlichen Interesses verschwinden, obwohl sie mehr Beachtung, Reflektion und Diskussion verdient hätten, weil sie Grundlegendes offenlegen. Im folgenden Fall geht es um mehr. Es geht um den grundsätzlichen Umgang mit Fehlern und mit Menschen, denen ein Fehler unterlaufen ist. Insofern ist es mehr als nur Tagesgeschehen.
Auslöser des Artikels ist das Interview, das Greuther Fürths Trainer Alexander Zorniger vor etwa zwei Wochen nach Ende des Spitzenspiels zwischen Greuther Fürth und dem SC Paderborn in seiner Enttäuschung über Paderborns Ausgleich in die Kameras der Sky-Reporter gegeben hatte. Es war ein Fehler seines Torhüters Nahuel Noll, der Zorniger die Contenance und Selbstbeherrschung verlieren ließ. Der 21 Jahre alte Schlussmann hatte mit seinem groben Schnitzer den späten Ausgleich durch Adriano Grimaldi verschuldet und Zorniger damit auf die Palme gebracht.
Es war die 81. Minute, als Nahuel Noll einen Ball – auf Höhe der Strafraumlinie stehend – von seinem linken Innenverteidiger zurückgespielt bekommt. Er nimmt den Ball mit dem rechten Fuß an und leitet ihn direkt nach rechts weiter, da ihn Paderborns Stürmer Grimaldi im mittleren Lauftempo von links anläuft. Gleichzeitig mit Nolls erstem Ballkontakt beschleunigt Grimaldi sein Lauftempo in Richtung des Fürth-Keepers, um ihn unter Druck zu setzen.
In diesem kurzen Zeitfenster scannt Noll seine Optionen. Zum einen könnte er den Ball auf seinen rechten Innenverteidiger (1) passen. Aber offensichtlich entdeckt er eine vermeintlich bessere Möglichkeit und will den Ball lang nach vorne in Richtung Zentrum spielen (2). Weil er sich auf den Flugball konzentriert, verliert Noll wohl den gegnerischen Angreifer kurzzeitig peripher aus den Augen. Grimaldi läuft währenddessen den Keeper in hohem Tempo an und kann den Ball blockieren, als ihn der Schlussmann nach vorne schlagen will. Nach der Balleroberung und einer Körperdrehung schiebt Paderborns Angreifer den Ball flach an dem im langen Block angreifenden Noll vorbei ins Tor und gleicht kurz vor Schluss zum 1:1 aus. Greuther Fürth gehen damit zwei sicher geglaubte Punkte und die Tabellenführung verloren.
Fürths Trainer Alexander Zorniger war nach dem Spiel wegen dieses Fehlers völlig aufgebracht. Er drohte dem neuen Kleeblatt-Keeper sogar unverhohlen mit der Bank. „Den Fehler sollte er nicht noch einmal machen, sonst kann sein Berater gern bei mir anrufen und fragen, warum er nicht mehr spielt“, sagte Zorniger. Auch im weiteren Verlauf des Interview war er nicht zu beruhigen. Er sei „maßlos geladen. Ich war schon lange nicht mehr so geladen auf einen einzelnen Spieler, weil es auch mit der Arroganz dieser jungen Spritzer zu tun hat, die auch mal Dinge aufnehmen müssen“, fuhr er fort. Nach dem 1:0 durch Luca Itter (49.) sei Paderborn „tot“ gewesen, »da hatten wir sie total im Griff – bis dann einer von uns gemeint hat, er muss was machen, wo wir schon seit Wochen sagen, dass wir das nicht sehen wollen.“ Maßloser konnte er seinen Frust über die Aktion des Keepers wohl kaum entladen.
Nun muss man Nolls Patzer nicht kleinreden. Mit seiner Unachtsamkeit gab er einen sicher geglaubten Sieg wieder aus der Hand. Und sicherlich kann man die Enttäuschung des Fürther Trainers in dieser Situation nachvollziehen. Zur ganzen Wahrheit des Spiels gehört aber auch, dass Noll zuvor mit zwei großartigen Abwehraktionen die Fürther Mannschaft überhaupt erst im Spiel gehalten hatte. Schon deshalb hätte sich eine solche Wutrede und Bloßstellung seines Keepers verboten.
Junge Torhüter als Geschäftsmodell
Ein Geschäftsmodell des Zweitligisten Greuther Fürth scheint zu sein, junge, talentierte Nachwuchstorhüter an den Ronhof auszuleihen. Beide Seiten profitieren von dieser Lösung. Die jungen Torhüter, die ansonsten wohl in ihren Stammvereinen auf der Ersatzbank verkümmern würden, erhalten Spielpraxis auf hohem Spielniveau, während der Verein hohe Qualität für vermeintlich wenig Geld erhält. Bereits in der vergangenen Saison stand mit U20-Nationaltorwart Jonas Urbig, der vom 1.FC Köln ausgeliehen war, ein junger Torhüter überaus erfolgreich zwischen den Pfosten der Franken.
Am Ende der Saison wurde er vom Fachmagazin Kicker zum besten Torhüter der zweiten Bundesliga gewählt. Dieses Erfolgsmodell sollte in dieser Saison mit Nahuel Noll, dem aktuellen U20-Nationaltorhüter, wiederholt werden. Und abgesehen von der beschriebenen Szene konnte der 21-Jährige, der von der TSG Hoffenheim ausgeliehen ist, durchaus überzeugen. Aber Unerfahrenheit beinhaltet auch stets ein höheres Fehlerrisiko, denn Nahuel Noll hatte bisher nur Einsätze im Regionalliga-Team der Hoffenheimer vorzuweisen. Zwei Klassen höher muss er sich zuerst an das höhere Spieltempo, mehr Schnelligkeit und mehr Cleverness der gegnerischen Stürmer gewöhnen. Diese Zeit muss man ihm lassen. Zu dieser Entwicklung gehören auch Fehler. Darauf muss sich ein Cheftrainer und ein Verein einstellen, wenn sie den Weg mit jungen Torhütern einschlagen. Genau an diesem Punkt versagt Fürths Cheftrainer.
Torwartgrößen mit ähnlichen Patzern
Ein Blick ins Internet verrät, dass selbst internationalen Torwartgrößen wie Ederson, Alisson, Courtois oder Neuer und vielen anderen in ihrer Karriere ähnliche oder gar noch schlimmere Slapsticks unterlaufen sind, trotz langjähriger Erfahrung. Man betrachte sich nur das Champions-League-Spiel Real Madrid gegen Liverpool vor einem Jahr, als sich sowohl Alisson als auch Courtois schlimme Aussetzer leisteten. Sie sind Teil einer Entwicklung. Umso mehr müsste Zorniger deshalb Verständnis haben für den Fehler eines unerfahrenen Torhüters, der gerade erst in der neuen Spielklasse ankommt.
Umgang mit Fehlern
a) Fehler als Teil des Lernprozesses
Eine der großen Stärken des 21-jährigen Keepers ist sein langer, präziser Abschlag, den er auch in der beschriebenen Situation einsetzen wollte, der aber dieses Mal offensichtlich nicht gefragt war („… bis dann einer von uns gemeint hat, er muss was machen, wo wir schon seit Wochen sagen, dass wir das nicht sehen wollen.“). Zorniger ließ offen, warum er diesen Ball "nicht sehen" wollte. Möglicherweise hätte der Schlussmann, weil sein Team mit 1:0 in Führung lag, mehr auf Sicherheit bedacht sein und den Ball über Kurzpassspiel in den eigenen Reihen halten sollen. Zornigers Aufgabe wäre es nun, dem jungen Schlussmann über Videoanalysen und gute Kommunikation die Einsicht zu vermitteln, wann ein langer Flugball seiner Meinung nach sinnvoll ist und wann andere Lösungen bevorzugt werden sollten. So werden Fehler ein Teil eines Lernprozesses und findet Entwicklung statt. Ein guter Führungsstil basiert auf guter Kommunikation. Die Medien sind dafür sicher nicht der geeignete Ort.
Noch ein Aspekt ist bedenkenswert. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein autoritären Führungsstil mit zu straffer Führung und Lenkung Kreativität und eigene Erfahrung unterbinden, zumal wenn bei Fehlern sofort Sanktionen angedroht werden, wie im beschriebenen Fall. Ein junger Torhüter wie Noll muss in einem Lernprozess über häufige Spielzeiten ein Gefühl dafür entwickeln, welche Entscheidung in welchem Fall die richtige ist. Zu dieser Entwicklung gehören eine angstfreie Entscheidungsmöglichkeit und auch Fehler.
Einer, der für Leadership steht, ist Jürgen Klopp. Eine Eigenschaft, die ihn ganz besonders auszeichnet, ist, dass er bedingungslos zu seinen Spielern steht, auch in schlechten Zeiten, wenn wichtige Funktionäre oder die Fans Konsequenzen für Spieler fordern, die gepatzt haben oder nicht immer Top-Leistungen abrufen können. Er bemüht sich, sich in jeden einzelnen hineinzuversetzen, und sucht häufig das direkte Gespräch, umarmt seine Spieler, spricht ihnen Mut zu, interessiert sich für ihre Hoffnungen und ihre Ängste - egal ob Talent, Routinier, oder Ersatzspieler. Das zeichnet gute Leadership und Führungsstärke aus, seine Spieler in schwierigen Situationen aufzumuntern und ihnen zur Seite zu stehen, natürlich gepaart mit der Bereitschaft der Spieler, aus Fehlern zu lernen und zu versuchen, die Spielidee des Trainers umzusetzen. Diese Seite des Umgangs mit Fehlern ließ Zorniger in diesem Fall aber vermissen.
b) Negative Rückmeldung verunsichert
Weit wichtiger wäre es, besonders bei jungen Spielern eine Kultur zu entwickeln, die den Spielern das Gefühl gibt, dass Fehlermachen in Ordnung ist und nicht jeder Fehler prompt zu Konsequenzen und negativer Rückmeldung führt. Denn Spieler werden sich mehr zutrauen, wenn sie weniger Angst vor Fehlern und deren Konsequenzen haben müssen. Fußball ist ein Fehlerspiel ist, Fehler sind somit ein normaler und zu akzeptierender Teil des Spiels. Angst hingegen ist ein schlechter Ratgeber!
c) Hat Zorniger ein grundsätzliches Problem?
Glaubt man dem ehemaligen Bundesligaspieler Martin Harnik, der 2015 beim VfB Stuttgart unter Trainer Alexander Zorniger spielte, trägt der Fürther Trainer diese fehlende Empathie schon seit längerer Zeit mit sich herum. „Wir hatten kein gutes Verhältnis auf sportlicher Ebene (...), er hat nicht verstanden, dass Profis Menschen sind, die Fehler machen, die schlechte Tage haben, die Formtiefs durchlaufen", sagte Harnik. Seitdem habe der Trainer wohl nicht viel dazugelernt, ergänzte er. Eine Schwäche im Umgang mit Fehlern scheint also bei Fürths Cheftrainer nicht neu zu sein.
Zugutehalten muss man Alexander Zorniger, dass er sich einen Tag nach seinem Gefühlsausbruch mannschaftsintern und öffentlich in aller Form bei Noll entschuldigt hat. Er muss sich aber als Trainer bewusst sein, welche Verantwortung er für seine Spieler hat, und darf sich nicht ausschließlich von seinen Gefühlen leiten lassen. Insofern kann ich mich nur Sven Ulreich anschließen, der in den sozialen Medien den heftigen Ausbruch des Fürther Trainer scharf kritisiert hat mit den Worten: „Unfassbar solch eine Aussage von einem Trainer in der Öffentlichkeit.“ Wir alle machen Fehler, weshalb die Lösung nur darin liegen kann, Nahuel Noll bessere Lösungsmöglichkeiten an die Hand zu geben und diese auch einzufordernd, allerdings in einem angemessenen Stil mit guter, positiv begleitender Kommunikation, denn junge Sportler entwickeln sich am besten in einer angstfreien Umgebung. Dieser Verantwortung sollte sich ein Trainer bewusst sein,