GoalGuardGoalGuard Steady Status

Per Steady einloggen GoalGuard Plus

Eine Fußball-Europameisterschaft bietet die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit Torhüter verschiedener Nationen unter die Lupe zu nehmen. Einer der interessantesten Torhüter der EM dürfte Mike Maignan, der Torhüter der französischen Nationalmannschaft, sein.

Seit der Saison 2021/2022 steht der 28-jährige Schlussmann beim italienischen Spitzenklub AC Mailand unter Vertrag. Maignan durchlief alle Jugendauswahlen Frankreichs von der U16 bis zur U21 und war Kapitän der U17-Auswahl bei der Europameisterschaft 2012.

Ausgebildet wurde der Keeper in verschiedenen Jugendteams von Paris St. Germain, bevor er 2013 in die erste Mannschaft befördert wurde. Im August 2015 wechselte er zum Ligakonkurrenten OSC Lille, wo er in der Saison 2017/18 Vincent Enyeama als Stammtorhüter ersetzte. Den sportlichen Höhepunkt erreichte er mit diesem Team in der Saison 2020/21, als der Klub überraschend französischer Meister wurde. Im Sommer 2021 erfolgte sein Wechsel zum AC Mailand in die Serie A. Dort unterschrieb er einen Vertrag bis 2026 und ist seither zu einem zuverlässigen Torhüter für Milan geworden. Mit seinen großartigen Leistungen hat er neben Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea auch kurzzeitig das Interesse des FC Bayern geweckt.

Bei der Nationalmannschaft stand Maignan bis Anfang 2023 noch im Schatten von Ex-Nationaltorhüter Hugo Lloris, der 12 Jahre lang die unangefochtene Nummer eins in Frankreich war und mit 145 Länderspielen Frankreichs Torwart-Idol ist. Seit dessen Rücktritt hat sich Maignan inzwischen mit überzeugenden Leistungen als klare Nummer eins ins Tor der Equipe Tricolore gespielt.

Markus Krauss, Torwarttrainer bei der U19 des VfB Stuttgart, hat das Torwartspiel von Maignan in der abgelaufenen Saison für Goalguard unter den Aspekten Tor- und Raumverteidigung analysiert.

Sein Gesamturteil schon vorab: Der Torwart von AC Mailand hat in dieser Saison eine beeindruckende Leistung gezeigt und entscheidend zur Vizemeisterschaft seines Teams in der Serie A beigetragen, auch wenn wenige statistische Werte, auf die Markus im Folgenden näher eingehen wird, noch Verbesserungspotenzial bieten.

Seine Torverteidigung unter der Lupe

Obwohl der AC Mailand Platz zwei in der Abschlusstabelle belegte, musste Maignan 49 Gegentreffer hinnehmen und belegte damit Platz zehn in der Tabelle der Gegentore. Zum Vergleich: Gegen Italiens Meister Inter Mailand konnten die gegnerischen Teams nur weniger als die Hälfte (22) an Toren als gegen Milan erzielen. Doch welche Rolle spielte Maignan bei den Gegentreffern?

Um diese Frage zu beantworten, nahm Markus Maignans Gegentore in der Saison 2023/24 unter folgenden vier Aspekten unter die Lupe: keine direkte Beteiligung, die Möglichkeit, einen Unhaltbaren zu halten, Optimierungsmöglichkeit und Fehler. Eines vorweg: Die Einschätzung, ob ein Ball haltbar war oder ein Torwartfehler vorlag, kann sich von Torwarttrainer zu Torwarttrainer durchaus unterscheiden. Insofern ist das Ergebnis an den Bewertungsmaßständen von Markus ausgerichtet. Die folgende Grafik veranschaulicht sein Ergebnis:

Nach seiner Einschätzung war Maignan an etwa der Hälfte der Gegentore (50,88 %) schuldlos. Bei 21,05 % aller Gegentore hätte er bei einem Big Save eine Abwehrchance gehabt. Zum Verständnis: Unter Big Save versteht man einen vom Torwart gehaltenen torgefährlichen oder „unhaltbaren“ Schuss, oft in einer entscheidenden Spielsituation. Bei einer Optimierung seines Verhaltens - sei es durch bessere technische Abläufe, ein besseres Stellungsspiel, frühzeitige Wahrnehmung, bessere Vororientierung oder rechtzeitigeres Stehen - hätte nach der Analyse von Markus bei 17,54 % der Tore eine Abwehrchance bestanden. Bei 10,53 % der Gegentore führte ein Fehler Maignans zum gegnerischen Torerfolg. Seine Werte entsprechen damit in etwa - über eine Saison gesehen - den Zahlen anderer Torhüter in den großen europäischen Ligen.

Interessant ist auch die folgende Grafik, die dargestellt, auf welche Weg die Gegentore fielen. Dabei gibt es ein paar Auffälligkeiten.

Besonders auffällig ist bei Maignan mit 15,79 % die hohe Anzahl an Gegentoren aus dem Bereich 16 – 20 m vor dem Tor. Bei vergleichbaren Torhütern liegt der durchschnittliche Wert bei 4 bis 7 %. Dabei stellt sich die Frage nach den Gründen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass das Abwehrverhalten von Milan insgesamt um die Box zu passiv ist bzw. zu weit weg vom Gegner stattfindet. Dadurch kommen gegnerische Stürmer vermehrt zu Torabschlüssen und sind zudem häufiger relativ unbedrängt.

Aber auch bei der Positionierung vor Schüssen zeigt Maignan Auffälligkeiten. Denn bei 6 von 7 Schüssen aus größerer Entfernung, bei denen man Maignan zumindest eine Beteiligung am Gegentor vorwerfen kann, stimmte seine Endposition bei Schuss des Gegners nicht optimal. Ein Beispiel dafür ist das 0:1 im Rückspiel gegen Rennes in der Europa League. Hier macht er kurz vor dem Abschluss nochmals ein paar Schritte nach vorne und verliert dadurch Reaktionszeit. Dieses Verhalten ist beim französischen Nationaltorhüter häufiger zu beobachten und keineswegs optimal.

Schwächen im Stellungsspiel erkennt man bei den Gegentoren gegen Inter Mailand (das 0:2) und in der Champions League gegen Dortmund (das 1:3 im Rückspiel). Gegen den italienischen Meister ist seine Position zu weit in Richtung Mitte, gegen den BVB zu weit links. Zudem steht er bei beiden Gegentoren nicht optimal in der Balance. Es scheint, als würde er dazu tendieren, leicht nach links zu „spekulieren“.

Zudem ist sein Wert bei Gegentoren nach Elfmetern sehr hoch. Immerhin gehen 19,3 % aller seiner Gegentore auf dieses Konto. Bei den meisten Top-Torhütern liegt der Durchschnittwert mit ca. 10 % deutlich niedriger. Diese Schwäche wird auch in absoluten Zahlen deutlich. Bei elf Strafstößen in der vergangenen Saison gegen ihn konnte Maignan keinen einzigen abwehren. Aber auch seine Konkurrenten im französischen Team, Alphonse Areola und Brice Samba, waren bei Elfmetern ähnlich erfolglos, denn auch sie konnten nur je einem Elfmetertor verhindern. Bei dieser schwachen Elfmeterquote kann man der französischen Nationalmannschaft nur raten, ein Elfmeterschießen möglichst zu umgehen.

Nicht wirklich beeindruckend ist Maignans Anzahl an abgewehrten Schüssen, denn laut wyscout-Daten wehrte er „nur“ 50,3 % der Schüsse auf sein Tor ab. Ein weiterer Wert, der diese kleine Schwäche bestätigt, ist sein Expected-goals-Wert von Opta. Nach Berechnung des Datenanbieters hätte Maignan nur 29,8 Gegentore bekommen dürfen. Tatsächlich lag dieser Wert bei 34 Gegentoren in 29 Spielen.

Überragend in der Raumverteidigung

Herausragend niedrig sind seine Werte jedoch in der Raumverteidigung. Zählt man Flanken und Querpässe zusammen, muss er in nur 7,01 % in diesem Bereich an Gegentoren hinnehmen, während dieser Wert bei anderen Torhütern meist zwischen 16 und 25 % liegt. Die Raumverteidigung ist also die eigentliche Stärke Maignans. In der italienischen Serie A ist er der Torhüter, der prozentual (laut fbref.com) die meisten Flanken in der abgeschlossenen Saison abgefangen hat, nämlich 10,9% aller Hereingaben. Außerdem ist er der dritterfolgreichste Torhüter der Serie A, wenn es darum geht, als „Ausputzer“ zu agieren. Hier klärte er pro Partie 1,24 Bälle bei einer durchschnittlichen Entfernung 15,2 m vor seinem Tor, was den drittbesten Wert in der italienischen Top-Liga darstellt.

Besonders auffällig ist sein mutiges Stellungsspiel, wenn es darum geht, sich auf eine Flanke vorzubereiten. Denn er positioniert sich bei Hereingaben aus größerer Entfernung sehr weit vor dem Tor und nimmt bei Hereingaben von der Seite die Erwartungshaltung (Schrittstellung) ein. Sein Ziel ist klar erkennbar. Er will die Flanke abfangen, anstatt sich nach hinten fallen zu lassen, um sich auf die Torverteidigung zu konzentrieren. Dabei kommen ihm sein herausragender technischer Bewegungsablauf als auch seine augenscheinliche Dynamik zum Ball zugute. Diese Fähigkeiten könnten ein großes Plus für ein erfolgreiches Turnier der Franzosen sein!

Welch große Bedeutung speziell die Raumverteidigung im heutigen Fußball hat, zeigte die Analyse der letzten beiden Großturniere. Wie eine Untersuchung des DFB in der Nachbereitung der Euro 2021 und der WM 2022 ergab, gewannen bei den letzten beiden Turnieren jeweils die Teams, die den besten Raumverteidiger des Turniers zwischen den Pfosten hatten. Laut DFB waren dies der Italiener Gianluigi Donnarumma bei der EURO 2021 und der Argentinier Emiliano Martinez bei der WM 2022.

Es wird spannend sein, ob Mike Maignan seine besonderen Fähigkeiten in der französischen Nationalmannschaft einbringen kann oder welche Ideen die gegnerischen Trainer entwickelt haben, um seine Stärken weniger zum Ausdruck kommen zu lassen. Maignan bringt aber auf jeden Fall die Klasse mit, zu einem der besten und auffälligsten Torhüter des Turniers zu werden. Heute Abend kann sich der interessierte Zuschauer im Spiel Österreich gegen Frankreich einen ersten Eindruck vom französischen Nationaltorhüter verschaffen.

Analysen Mike Maignan Fédération Française de Football

Artur Stopper

Artur Stopper

Mit über 25 Jahren Erfahrung als Torwarttrainer weiß Artur, wie Torhüter ticken. Deshalb bevorzugt er Themen, die die Welt der Torhüter ausmachen: Vereinswechsel, Tiefschläge, Pechsträhnen, Höhenflüge, Emotionen, Ersatzbank, Halbgötter, Erfolge.

Weiterlesen ...