Ein großes Turnier wie die EM bietet Torhütern wie Spielern immer wieder die Möglichkeit, sich ins Schaufenster der Weltöffentlichkeit zu stellen und abseits des gewohnten Arbeitsfeldes auf sich aufmerksam zu machen. Wer die Torhüterleistungen bei der EM 2024 näher betrachtet, kommt an einem Torhüter nicht vorbei. Die Rede ist von Giorgi Mamardashvili, dem Torhüter Georgiens. Ohne Zweifel gehörte der 23-jährige Schlussmann zu den auffälligsten Keepern der Europameisterschaft. Mit seinen überragenden Leistungen hat er nicht nur die Fans verzückt, sondern sich auch ins Schaufenster der Weltbühne gestellt. Sein aktueller Verein, der spanische Erstligist FC Valencia, hatte ihn 2024, zunächst zur Leihe, anschließend fest für weniger als eine Million Euro verpflichtet - ein Schnäppchen. Inzwischen wird sein Marktwert laut Transfermarkt auf 45 Millionen Euro geschätzt. Er ist damit aktuell zusammen mit Diogo Costa der teuerste Torwart der Welt.
Einer breiten Öffentlichkeit war Giorgi Mamardashvili vor der EM eher unbekannt, nicht aber Insidern. Denn bereits 2022 war der Georgier von der spanischen Sportzeitung Marca in das Team der Entdeckungen der Saison gewählt worden. In der abgelaufenen Liga-Saison musste sein Klub FC Valencia bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt bangen. Ein maßgeblicher Faktor für den Nicht-Abstieg war der überragende Rückhalt von Giorgi Mamardashvili. 13-mal spielte er für Valencia zu Null. In La Liga erreichte der Georgier laut "Sofascore" den höchsten Wert aller Torhüter bei den verhinderten Toren (9,26), ein Wert, der sich aus der Anzahl der erwarteten Gegentore und den tatsächlich kassierten berechnet. Nur zwei Keeper in den europäischen Top-Ligen hatten einen besseren Wert: Gianluigi Donnarumma (11,53, Paris Saint-Germain) und Michele di Gregorio (12,29, AC Monza). Von den Valencia-Fans wurde er zum Spieler des Jahres gekürt. Spätestens seit der EM ist nun auch ein breites Publikum auf Giorgi Mamardashvili aufmerksam geworden. Er gehört zu den größten Torwart-Versprechen überhaupt. Goalguard hat seine Spielweise unter die Lupe genommen.
Seine Stärken
a) Torverteidigung
Besonders auffällig waren bei der EM seine Qualitäten in der Torverteidigung. Mit insgesamt 30 Paraden hatte Marmardashvili in vier Spielen weit mehr Abwehraktionen als andere EM-Torhüter im gleichen Zeitraum. Deren Werte lagen in demselben Zeitabschnitt oft bei deutlich weniger als der Hälfte der Anzahl an Paraden. Gegen Tschechien stellte Mamardashvili sogar einen Rekord mit den meisten gehaltenen Bällen in einem EM-Spiel auf. Insgesamt zwölf Schüsse kamen auf sein Tor, aber nur einen einzigen ließ er passieren. Dass trotz dieses hohen Wertes am Ende kein Sieg für Georgien heraussprang, ist ungewöhnlich. Denn laut Daten-Anbieter Opta, die seit 1980 diese Daten erfassen, gab es noch nie, dass trotz dieser hohen Anzahl von Schüssen das Spiel am Ende nicht mit einem Sieg endete. Mamardashvili wurde zu Recht nach Ende des Spiels für seine außergewöhnliche Leistung von der UEFA mit dem "Man of the Match"-Award ausgezeichnet.
Noch eine andere Zahl verdeutlich seine großartige Leistung in der Torverteidigung. In vier Spielen wehrte der georgische Nationaltorhüter 79 Prozent der Schüsse auf sein Tor ab. Eine starke Quote, die nur der französische Nationaltorhüter Mike Maignan mit einer Quote von 84 % übertroffen hat.
Beeindruckend ist, wie Mamardashvili trotz seiner Körpergröße von 1,97 m auch bei flachen Torschüssen blitzschnell zur Seite abtaucht. Auffallend auch seine starken Reflexe, wie z.B. bei Freistößen von Ronaldo (Portugal) und Cananoglu (Türkei), mit denen er einen Torerfolg des Gegners verhinderte. Ob mit einer schnellen Fußabwehr nach einem Schuss aus 7 m, einem Reflex nach einem überraschenden Drehschuss aus 6 m, einem Torabschluss aus den Nahdistanz vom Leverkusener Patrick Schick oder Schüssen von der Strafraumgrenze oder aus der Ferndistanz, Mamardashvili war immer da.
Wenn es sein musste, hielt er einem Schuss manchmal auch unorthodox und nicht immer nach technisch perfekten Bewegungsabläufen, wie z.B. bei einem Fernschuss des Portugiesen Diogo Dalot, den er mit einer ungewöhnlichen Schrittfolge (Absprung mit rechts zu seiner linken Seite) aus dem Tordreieck fischte. Auffallend ist sein kontrolliertes Verhalten in Eins-gegen-Eins-Situationen. Kommt er nahe genug an den Schützen heran, entscheidet er sich für den durchgeschobenen Block. Schafft er das nicht, stürmt er nicht kopflos den Schützen entgegen, sondern erwartet den Ball auf Höhe des vorderen Pfostens, um sich so Reaktionszeit zu verschaffen. Wie im Eins-gegen-Eins steht er im Moment des Schusses ruhig im Gleichgewicht und leitet die anschließende Abwehraktion kontrolliert und unspektakulär ein.
b) Raumverteidigung
Auch in der Raumverteidigung zeigte Mamardashvili gute Leistungen. Alle 9 Flanken, die vor sein Tor geschlagen wurden, fing der Keeper sicher ab, wobei ihm zweifellos seine Größe von 1,97 m zu Hilfe kommt. Die geringe Anzahl an Flanken, die er in vier Spielen abfangen musste, lässt den Schluss zu, dass die gegnerischen Mannschaften sehr wohl die Stärken des Georgiers kannten und deshalb andere Weg vors Tor wählten als durch Flankenbälle.
c) Ausstrahlung
Mamardashvili besitzt außerdem etwas, das man nur bedingt lernen kann, nämlich eine große Ausstrahlung. Trotz seiner noch jungen Jahre strahlt er eine Souveränität und Sicherheit aus, die in diesem Alter außergewöhnlich ist. Der Grund liegt in seiner äußerst ruhigen Art. Großartige Paraden sind für ihn kein Grund, sich im Stile des englischen Keepers Jordan Pickford zu feiern oder feiern zu lassen. In stoischer Ruhe setzt er seine Arbeit fort und konzentriert sich auf die nächste Aufgabe. Genauso geht er mit eigenen Fehlern oder den Fehlern seiner Mitspieler um. Kein Lamentieren, kein Gestikulieren, keine emotionalen Regungen, höchstens einen kurzen, aufmunternden Klapps für einen Mitspieler für eine gelungene Aktion, ohne große Worte. Er reiht sich nicht ein in die lange Tradition extrovertierter Torhüter, die sich Ausstrahlung durch dominantes Auftreten verschafften.
Verbesserungspotenzial
Verbesserungspotenzial hat er noch bei seinem Spiel mit dem Fuß, wie die statistischen Werte zeigen. Mit einer Passquote von 45 % liegt er deutlich unter den Werten seiner EM-Konkurrenten auf gleichem Level. Zum Vergleich: Der Portugiese Diogo Costa erreichte eine Passquote von 85 %, Donnarumma (Italien) und Verbruggen (Niederlande) folgen mit 83 %.
Besonders bei langen Ballen weist er mit einer Passquote von 26 % einen relativ schwachen Wert gegenüber anderen Spitzentorhütern bei der EM auf. Bart Verbruggen (52 %), Donnarumma (48 %) oder Neuer (47 %) sind in diesem Bereich einiges besser. Gerne spart Mamardashvili seinen schwachen Fuß aus und nimmt stattdessen die sichere Variante mit seinem starken Fuß. Die schwächeren Werte des Keepers bei Aktionen mit dem Fuß könnten aber der Spielphilosophie des georgischen Teams geschuldet sein. Die Taktik des französischen Trainers der Georgier, Willy Sagnol, war nämlich darauf ausgerichtet, tief zu stehen und mit schnellen Kontern über die beiden durchsetzungs- und dribbelstarken Stürmer Kvaratskhelia und Mikautadze zum Erfolg zu kommen. Für den Torhüter bedeutete diese Vorgabe, dass er schnell und unter Zeitdruck auf Angriff umschalten musste, worunter die Passgenauigkeit leiden kann. Eine weitere Erklärung für den schwächeren Wert: Um die gegnerische Mannschaft vom eigenen Tor fernzuhalten, eröffnete Mamardashvili das Spiel deutlich häufiger als andere EM-Torhüter in allen Spielen mit einem langen Bodenabschlag anstatt mit einem Kurzpass, eine Spieleröffnung oder Spielfortsetzung, die automatisch deutlich häufiger zu Ballverlusten führt.
Es wird spannend sein, wie der sportliche Weg des Keepers weitergeht. Der 1,97 Meter große Torhüter ist schon länger auf dem Radar europäischer Topklubs, seine großartigen Leistungen bei der EM dürfte er das Verlangen großer Klubs auf den Georgier noch verstärkt haben.