Nein, überraschend war es nicht, dass Bundesligist Arminia Bielefeld - den Gesetzmäßigkeiten des Profifußballs folgend - nach zuletzt sechs Niederlagen in sieben sieglosen Spielen die Reißleine zog und Cheftrainer Frank Kramer entließ. Weitaus verwunderlicher war die Übergangslösung, die sich die Bielefelder für die abschließenden vier Spiele der Saison ausgedacht haben. Denn mit Marco Kostmann übernimmt der bisherige Torwarttrainer mit sofortiger Wirkung den Posten des Cheftrainers. Die Verantwortlichen auf der Alm entschieden sich für eine Lösung aus dem eigenen Haus. Während in diesem Fall zumeist auf einen der Co-Trainer oder einen Trainer aus dem Nachwuchsbereich zurückgegriffen wird, soll in Bielefeld nun ausgerechnet der Torwarttrainer für den Umschwung sorgen. „Marco ist ja nicht der typische Torwarttrainer, er ist in sehr viele Prozesse die ganze Zeit involviert“, begründet Samir Arabi, Sportgeschäftsführer der Bielefelder, die Entscheidung.
Zudem bekommt Marco Kostmann prominenter Unterstützung an seiner Seite. Denn mit Michael Henke wurde ihm ein neuer Co-Trainer mit großer Vergangenheit zur Seite gestellt. Der 64-Jährige hatte in seiner bisherigen Laufbahn viele Jahre mit Ottmar Hitzfeld zusammengearbeitet und konnte in der Zeit mit dem BVB und Bayern München nationale und internationale Titel gewinnen. Zuvor war er Sportdirektor beim FC Ingolstadt 04.
Mit der Entscheidung für das Gespann Kostmann / Henke möchten die Verantwortlichen „der Mannschaft einen Impuls geben, um den Verbleib in der Bundesliga zu realisieren“, wie Arabi erklärte. Aktuell stehen die Ostwestfalen vier Runden vor Saisonschluss auf einem direkten Abstiegsplatz. Der Rückstand auf das rettende Ufer beträgt drei Punkte. Auf den Relegationsplatz, der momentan vom VfB Stuttgart belegt wird, sind es zwei Zähler. Doch wer ist eigentlich der neue Impulsgeber, mit dem die Arminia am Samstag beim 1. FC Köln die Trendwende im Abstiegskampf schaffen soll?
Wer ist eigentlich Marco Kostmann?
Auch wenn Kostmanns Beförderung auf den ersten Blick kurios wirkt. Der 56-Jährige ist ein Armine durch und durch. Seit 2011 arbeitet er - mit zweijähriger Unterbrechung im Nachwuchsbereich des Hamburger SV - im Bielefelder Trainerteam vor allem als Torwarttrainer. Aber Kostmann ist in Bielefeld weit mehr als "nur" jener Spezialtrainer, der die Torhüter auf Trab halten soll. "Ich arbeite mit Marco schon seit elf Jahren zusammen. Und auch damals, bei der Rückkehr in die zweite Liga, war Marco Teil des Trainerteams und nicht nur Torwarttrainer. Insofern habe ich ihn erlebt, wie er als Trainer arbeitet", sagte Arabi. Auch als Ex-Trainer Kramer wegen Corona gefehlt hatte, habe Kostmann "mehr als nur die Rolle des Torwarttrainers ausgefüllt.“ Dass Kostmann die Abläufe und die Mannschaft kenne, habe laut Arabi letztlich zu der Entscheidung pro Kostmann geführt. Kostmann ist also eine anerkannte und geschätzte Institution bei den Ostwestfalen. Deshalb kennt er die Mannschaft genau und weiß, wo er die Hebel ansetzen muss.
Zudem bringt der gebürtige Rostocker viel Erfahrung mit. Ab 2003 war Kostmann als Torwarttrainer im DFB-Nachwuchsbereich und als DFB-Stützpunktkoordinator Schleswig-Holsteins sowie ab 2007 auch zwei Jahre lang als Torwarttrainer der von Uli Stielike trainierten Ivorischen Nationalmannschaft tätig, bevor er 2009 die Nachfolge Perry Bräutigams als Torwarttrainer des FC Hansa Rostock antrat. Vorübergehend übernahm er in seiner Zeit bei den Hansestädter auch die Rolle als Cheftrainer. Von Sommer 2010 an war Kostmann als Torwarttrainer der deutschen U-20-Nationalmannschaft tätig. Dieses Engagement beendete er im September 2013 zugunsten seiner Tätigkeit bei Arminia Bielefeld.
Wie will er die Trendwende schaffen?
Mit Zuversicht, einem Routinier an der Seite und einem Appell an die Mannschaft will Marco Kostmann bei Arminia Bielefeld die Trendwende im Abstiegskampf schaffen. "Jeder Spieler muss wieder zeigen, warum er hier einen Arbeitsvertrag bekommen hat - und den haben sie alle zurecht. Jeder muss sein Können wiederbeleben", fordert der als Interimscoach eingesetzte Nachfolger des freigestellten Frank Kramer am Freitag.
Dass er erfolgreich arbeiten kann, hat er zumindest bei seinen Torhütern unter Beweis gestellt. Stefan Ortega Moreno, Bielefelds Nummer eins, entwickelte er zu einem der besten Torhüter der Bundesliga. Seine Arbeitsweise mit den Torhütern möchte er auf die gesamte Mannschaft übertragen. Sie sei der „Schlüssel zum Erfolg“ für ihn. Er will der Mannschaft vermitteln, dass es „auf jede Aktion im Spiel ankommt“, auf jeden Pass, auf jeden Zweikampf und jedes Kopfballduell. Wenn er mit den Torhütern trainiert, sei „harte und konsequente Arbeit angesagt“. Jeder soll sich wieder auf seine Aufgabe konzentrieren. Er spricht von der „Wiederbelebung der Ressourcen“ bei den Spielern. Diese hinzubekommen, ist für ihn der Schlüssel zur Wende.
Von der Qualität der Mannschaft ist er überzeugt und hat vollstes Vertrauen in sein Team: „Sie haben ja auch alle schon gezeigt, warum das gerechtfertigt ist.“ Einen Schwachpunkt hat er bereits im mentalen Bereich ausgemacht. Die Schwächen in der Offensive seien dem mangelnden Selbstvertrauen geschuldet. "Ich versuche meine Arbeitsweise mit den Torhütern in die Köpfe der Spieler zu übertragen“, erklärte der 56-Jährige.
Das Spiel in Köln wird zeigen, ob der vom Klub gesetzte Impuls schon Wirkung bei der Arminia zeigt. Marco Kostmann, dessen Vertrag als Torwarttrainer bis 2025 läuft, hat in vier oder eventuell sechs Spielen die Chance, den Bielefelder Abstieg zu vermeiden und so Geschichte zu schreiben. Es wird sich zeigen, ob der bisherige Torwarttrainer mehr als Torwarttraining kann, die Bielefelder Flaute beendet und wieder frischen Wind ins Team bringt.