Zweifellos gehört Claudio Filippi vom vielfachen italienischen Meister Juventus Turin zu den renommiertesten Torwarttrainern in Europa. Seit bereits zehn Jahren trainiert er die Torhüter des europäischen Spitzenklubs. Viele hervorragende Torhüter hat er über die Jahre begleitet, im Besonderen den fünfmaligen Welttorhüter Gianluigi Buffon. Goalguard hatte die Möglichkeit, sich mit dem Juve-Torwarttrainer über seine spezielle Bindung zu Juventus Turin, seine Auswahlkriterien bei der Verpflichtung der Torhüter, über die Rückkehr von Gigi Buffon, über die Bedeutung der mentalen Stärke bei Torhütern sowie über die zukünftige Entwicklung des Torwartspiels zu unterhalten.
Artur Stopper Claudio, du bist momentan in der 10. Saison bei Juve als Torwarttrainer tätig. Einige Cheftrainer sind in dieser Zeit gekommen oder gegangen, du bist immer geblieben. Was fasziniert dich an der Arbeit bei Juventus Turin?
Claudio Filippi Ich habe im Laufe meiner Tätigkeit bei Juventus von allen Trainern viel Wertschätzung erhalten. Deshalb machte mir die Arbeit bei Juve immer Spaß. Zudem ist Juventus Turin eine der bedeutendsten Vereine in Italien und Europa. Bei so einem großartigen Klub würde jeder gerne arbeiten. Auch haben der Verein und ich ähnliche Vorstellungen. Weil ich mich im Umfeld von Juve all die Jahre immer wohl gefühlt habe, hat sich bei mir eine starke Beziehung zum Klub entwickelt.
Artur Stopper Im Moment ist der Pole Wojciech Szczesny die Nummer eins bei Juve. Außer ihm sind alle anderen Torhüter im Kader Italiener. Achtest du bei der Zusammenstellung des Kaders bewusst darauf, dass eher Landsleute im Team sind, oder ist diese Konstellation eher zufällig?
Claudio Filippi Wir wählen unsere Spieler allein danach aus, ob sie in der Lage sind, auf unserem Niveau zu spielen. Das Niveau ist bei Juve immer sehr hoch, deshalb müssen alle Spieler, die das Juve-Trikot tragen, Top-Spieler sein. Wir schauen also nicht auf die Nationalität, sondern nur auf ihr Leistungsvermögen. Die Torhüter, die wir im Moment im Kader haben, besitzen das entsprechende Niveau für die Ansprüche unseres Klubs.
Artur Stopper Bei deutschen Erstligisten ist die Nummer drei im Torwart-Team oft mit einem jungen Torhüter besetzt. Alle Torhüter im Kader von Juventus Turin sind hingegen bereits über 26 Jahre alt: Szczesny (29), Buffon (41), Pinsoglio (29), Perin (26). Setzt Juve auf der Torhüterposition mehr auf Erfahrung als auf Ausbildung?
Claudio Filippi (schmunzelt) Du hast einen Blick für Details. Du scheinst ein Torwarttrainer zu sein…. Es gibt bei Juventus keine eindeutige Linie. Vor ein paar Jahren hatten wir einen dritten Torhüter, der gerade mal 19 Jahren alt war. Im Moment haben wir keinen jungen Torhüter im Kader. Aber auch hier ist wieder allein der Level des Torhüters für seine Verpflichtung entscheidend.
Artur Stopper Ich bin noch einmal ins Detail gegangen beim Blick auf den Kader. Auffallend ist dabei, dass alle Juve-Keeper ausgesprochen groß sind (Szczesny (1,96 m), Buffon (1,92 m), Pinsoglio (1,94 m), Perin (1,88 m). Welche Rolle spielt bei Juve die Größe eines Torhüters bei der Verpflichtung?
Claudio Filippi Es gibt in Top-Mannschaften natürlich auch Torhüter, die nicht so groß sind. Aber das sind die Ausnahmen. Auf höchstem Niveau und in der neuen Torhüter-Generation sind die Torhüter in der Regel über 1,90 m groß. Menschen werden allgemein immer größer. Das ist eine Folge der Evolution der Spezie Mensch. Da somit auch die gegnerischen Stürmer größer werden, haben Torhüter bei einer entsprechenden Größe besonders in der Raumverteidigung eine größere Chance, ihr Tor zu verteidigen. Hinzu kommt, dass früher groß gewachsene Torhüter in ihrer Bewegung oft sehr langsam waren, heute hingegen sind auch große Torhüter schnell. Deshalb ist es sinnvoller, große und schnelle Torhüter zu haben.
Artur Stopper Seit dem Sommer ist Italiens Torwart-Legende Gigi Buffon wieder zu Juventus zurückgekehrt. Mit 41 Jahren hat Buffon sicherlich seinen Leistungszenit bereits überschritten. Welche Rolle füllt Buffon bei Juve aus?
Claudio Filippi Buffon ist wirklich einzigartig. Er hat eine unglaubliche mentale Stärke. Als er zu Juve zurückkehrte, war er in einer neuen und schwierigeren Rolle. Er ist in einem unglaublichen Enthusiasmus mit dem Wunsch zurückgekommen, die Mannschaft zu unterstützen, seine Mannschaft des Herzens. Er trainiert sehr gut und immer mit vollem Einsatz, ist bei allem dabei, was sich in der Mannschaft abspielt. Er hilft den Neuen, sich gut in die Mannschaft einzufinden, unterstützt aber auch den Trainer in dessen neuem Spielsystem. Buffon ist wirklich außergewöhnlich!
Artur Stopper Man sagt, ein möglicher Grund für den Wechsel von Buffon zu Paris St. Germain sei gewesen, dass er einmal die Champions League gewinnen wollte. Wie groß sieht du die Chancen, dass er sich diesen Wunsch mit Juventus Turin erfüllen kann?
Claudio Filippi Er hatte die Zeit bei Juve abgeschlossen und wollte in seiner Karriere etwas Neues beginnen. Deshalb wechselte er mit Paris St. Germain zu einem sehr namhaften Klub. Natürlich hatte er mit diesem Klub das Ziel, die Champions League zu gewinnen. Er ist aber nun wieder zu einem Klub zurückgekehrt, der dieses Ziel auch im Auge hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Buffon in einem Verein spielen würde, der nicht dieses Ziel verfolgt.
Artur Stopper Du bist sicherlich einer der renommiertesten Torwarttrainer in Europa. Woher bekommst du auf diesem Level noch Denkanstöße und neue Impulse für deine Arbeit?
Claudio Filippi Schöne Frage, und vielen Dank! Ich schaue mir viele Spiele an. Speziell werfe ich dabei einen Blick auf Spielsituationen meiner Torhüter, aber auch auf Spielsituationen anderer Torhüter. Diese Analyse war für mich immer schon sehr wichtig. Ich war einer der Ersten, der 1994 ein Buch veröffentlicht hat zu den technischen Abläufen bei Torhütern. 2014, also zwanzig Jahre später, habe ich das wiederholt und Unterschiede im Torwartspiel gegenüber früher analysiert. So bekomme ich immer wieder neue Ideen, die ich ins Training einarbeiten kann. Was bei mir immer gleich bleibt, ist die Energie, die ich einer Sache widme, auch noch nach vielen Jahren, und die Begeisterung, sie an die Spieler weiter zu geben.
Artur Stopper Du hast mit vielen guten Torhütern gearbeitet. Man sagt, ab einem gewissen Level gehe es bei Torhütern vor allem darum, mental stark ist. Stimmt diese These?
Claudio Filippi Ich glaube wirklich, dass die mentale Stärke im Spitzenbereich den Unterschied ausmacht, denn man muss viel Druck von außen aushalten können, aber auch den Druck innerhalb des Teams und durch die Zielsetzungen des Vereins. Es gibt Spieler in unteren Spielklassen, die technisch, taktisch und körperlich genauso gut sind wie Spieler in den höchsten Ligen. Den Unterschied im Leistungsvermögen macht aber der Kopf, die mentale Stärke aus.
Artur Stopper Kann man diese mentale Stärke trainieren oder ist sie zu großen Teilen im Naturell eines Torhüters vorgegeben?
Claudio Filippi Ich glaube, dass Torhüter, die schnell ein hohes Niveau erreichen, die mentale Stärke bereits in sich haben, sie also angeboren ist. Aber nur ganz wenige Torhüter schaffen es bereits in jungen Jahren, auf das höchste Niveau zu kommen. Die meisten Torhüter müssen zuerst einen Reifeprozess durchlaufen und ihre mentale Stärke mit den Jahren entwickeln. Trotzdem können sie nach einer gewissen Entwicklung und zeitversetzt die gleichen Ziele erreichen wie Torhüter, denen diese Stärke in die Wiege gelegt ist. Aber sie müssen die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu analysieren, oder einen Torwarttrainer haben, der sie bei diesen Analysen unterstützt. Vielleicht kann ihnen auch ein Sportpsychologen dabei helfen. Aber natürlich ist die Grundlage das Talent, ohne das man nicht einen bestimmten Level erreicht.
Artur Stopper Sicherlich hast du dir als Torwarttrainer bei einem führenden europäischen Verein schon Gedanken darüber gemacht, in welche Richtung sich das Torwartspiel zukünftig entwickeln wird. Welche Visionen siehst du?
Claudio Filippi Die Torhüter müssen heutzutage Bälle sehr weit mit großer Präzision schlagen können. Bis vor fünf Jahren hat man häufig mit Torhütern gespielt, die im Strafraum bei Rückpässen oft unter großen Druck gerieten. Ich glaube der Brasilianer Ederson von Manchester City hat hier eine Wende geschafft. Er ist auch unter Druck sehr gut, wie heutzutage die meisten Torhüter im Spitzenbereich. Diese Fähigkeit, Bälle weit und schnell schlagen zu können, verschafft der eigenen Mannschaft Vorteile.
Artur Stopper Claudio, wie bedanken uns bei dir für das Interview und wünschen dir eine erfolgreiche Saison mit Juventus Turin.