Seit 2007 arbeitet Christophe Lollichon als Torwarttrainer beim englischen Spitzenklub Chelsea London. In den neun Jahren der Zusammenarbeit entwickelte er Petr Cech, den Welttorhüter von 2005, 124-maligen tschechischen Nationaltorwart und heutigen Stammtorhüter von Arsenal London, zu einem der besten Torhüter des vergangenen Jahrzehnts. Der 54-jährige Franzose gilt als einer der Top-Torwarttrainer in Europa. Neben Petr Cech gingen viele andere Weltklassetorhüter, wie z.B. Thibaut Courtois, Mark Schwarzer, Carlo Cudicini, oder Asmir Begovic durch seine Hände. Viele der bekanntesten Trainer der Welt, wie Jose Mourinho, Carlo Ancelotti, Guus Hiddink, Rafael Benítez oder Luiz Felipe Scolari waren seine Wegbegleiter. Seit dem Sommer 2016 hat Lollichon die Position des Torwart-Koordinators bei den Londonern übernommen. Goalguard hat sich mit der Franzosen über seine gemeinsame Zeit mit Petr Cech, seine Philosophie vom modernen Torwartspiel und dessen Anpassung an die verschiedenen Spielsysteme der Cheftrainer unterhalten.
Artur Stopper Herr Lollichon, neun Jahre lang haben Sie bei Stade Rennes und Chelsea London mit Petr Cech, den Welttorhüter von 2005 noch heute einen der besten Torhüter der Welt, zusammengearbeitet. Wie schwer fiel Ihnen nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit der Abschied von Cech, als er 2015 zu Arsenal wechselte?
Christophe Lollichon Die neun Jahre, die wir zusammen arbeiteten, waren eine phantastische Zeit. Unsere Beziehung war mehr als die normale Zusammenarbeit zwischen einem Spieler und einem Trainer. Petr ist zunächst einmal ein großartiger Typ, ein Top-Athlet und ein außerordentlich guter Torhüter. Ich glaube auch, dass Petr mir half, mich in meiner Tätigkeit weiterzuentwickeln, weil seine Erwartungen sehr hoch waren. Zudem hatte die Chemie zwischen uns von Anfang an gestimmt. Deshalb war ich natürlich sehr enttäuscht, als Petr den Klub verließ. Aber für mich war es unerträglich, diesen Ausnahme-Keeper nur noch auf der Ersatzbank zu sehen. Deshalb habe ich mich für ihn gefreut, als er die Nummer eins bei einem anderen großen Klub (Arsenal London) wurde. Aber mit seinem Abgang habe ich auch einen guten Freund verloren. Selbstverständlich stehen wir aber weiterhin häufig in Kontakt.
Artur Stopper Welche Fähigkeiten und Eigenschaften haben Sie an ihm besonders geschätzt?
Christophe Lollichon Er ist ein sehr intelligenter Junge, nicht nur in Sachen Fußball. Er ist ein fantastischer Athlet, der eine Menge an Sportarten ausübte, als er jung war. Deshalb verfügt er über eine außergewöhnlich gute Koordination, was für mich sehr wichtig ist. Er hat sehr gute physische Voraussetzungen, denn er ist groß, hat eine überragende Mentalität und gute technische Grundlagen. Des Weiteren ist er voller Energie, verfügt über eine hervorragende Gleichgewichtsfähigkeit und möchte jeden Tag dazulernen. Auch noch jetzt, mit bereits 35 Jahren, arbeitet er weiter an sich. Deshalb verbrachten wir unzählige Stunden mit Videoanalyse, um seine Leistung zu verbessern, und bereiteten viele Spiele zusammen vor. Ohne diese außergewöhnlichen Qualitäten kann man auf diesem Level nicht bestehen.
Artur Stopper Was kann man bei einem Torhüter auf diesem Niveau noch verbessern?
Christophe Lollichon Man kann immer noch an Details arbeiten. Als ich begann mit Petr zu arbeiten, war er 21 Jahre alt. Wir arbeiteten in dieser Zeit vor allem daran, das Spielverständnis zu entwickeln. Ich will, dass ein Torhüter vor allem mit den Augen spielt. Für mich ist der Torhüter ein Feldspieler mit zwei Händen. Das ist die Grundlage meiner Torwartphilosophie. Als Petr nach Rennes kam, war er mit dieser Denkweise noch nicht vertraut. Um dieses Verständnis zu entwickeln, arbeiteten wir viel mit Videos. Am Anfang unserer Zusammenarbeit versuchte er bereits sehr hoch zu stehen, schaute aber immer nach hinten, wo sein Tor steht. Deshalb bat ich eines Tages in einem Freundschaftsspiel den Schiedsrichter, ein Band verwenden zu dürfen, das ich an der 5-m-Linie, am 11-m-Punkt und der Strafraumlinie anbrachte. Ich sagte Petr, dass er sich nicht nach hinten umdrehen müsse, um zu sehen, was in seinem Rücken passiert. Er wisse jetzt, wo sein Tor steht. So begannen wir immer mehr, sein Spiel zu entwickeln. Wir arbeiteten sehr viel an visuellen Torhüter-Strategien, um die Qualität des zentralen Blicks und des peripheren Sehens zu verbessern. So entwickelte sich eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen uns. Für einen Torwarttrainer gibt es keinen besseren Torhüter für eine Zusammenarbeit als Petr Cech.
Artur Stopper Petr Cech strahlt enorme Präsenz und eine großer Ruhe aus. Kann man diese Ruhe lernen oder ist sie angeboren?
Christophe Lollichon Seine enorme Präsenz ergab sich teilweise aus unserer speziellen Arbeitsweise und teils aus seiner Persönlichkeit. Er brachte großartige Voraussetzungen mit, und mein Job als Torwarttrainer war, dieses hohe Potenzial weiter zu entwickeln. Wir arbeiteten z.B. an der Kontrolle der Emotionen. Das Champions-League-Finale in München war für mich der Höhepunkt dieser Performance, er war absolut ruhig. Zusammen mit einem südafrikanischen Mentaltrainer entwickelten wir Methoden, über das Gehirn, das den Körper kontrolliert, die Selbstkontrolle zu verbessern. Wenn du deine Gedanken kontrollieren kannst, die Besonderheiten des Gegners kennst und dich somit gut vorbereitet hast, macht dich das selbstsicher. Diese Summe an Wissen gibt dir die Sicherheit für ein gutes Auftreten.
Artur Stopper Können Sie an einem Beispiel anschaulich machen, wie Sie Petr Cech auf Besonderheiten des Gegners vorbereitet haben?
Christophe Lollichon Ein Beispiel dafür sind die Spiele gegen den FC Barcelona. Natürlich lag mein Fokus bei der Analyse der gegnerischen Angreifer nicht nur auf Lionel Messi, aber auf ihm im Besonderen, weil er einer der besten Spieler der Welt ist. In allen Spielen, die wir in meiner Zeit bei Chelsea bestritten, erzielte Lionel Messi nie ein Tor gegen Petr Cech, weil wir uns gut auf ihn vorbereitet hatten. Vor dem Halbfinalspiel 2012 hatte Messi insgesamt 63 Tore in einer Saison erzielt. Ich analysierte daraufhin jedes seiner Tore, um irgendetwas zu finden.
Artur Stopper Das war viel Arbeit ….
Christophe Lollichon Sprechen Sie mit meiner Frau ….(lacht). Ich fand tatsächlich einige Kleinigkeiten, die Petr weiterhalfen. Leider kann ich darüber nicht sprechen, da sie ein Geheimnis sind. Aber Messi lief dreimal allein auf Petr zu, und Petr verhinderte dreimal einen Torerfolg, weil er wusste, was zu tun war. Natürlich gehört auch ein bisschen Glück dazu, aber er war auf die Aktionen gut vorbereitet.
Artur Stopper Petr Cech ist 1,97 m groß, Courtois sogar 1, 99 m. Ist die Größe ein entscheidendes Auswahlkriterium für die Torhüter von Chelsea?
Christophe Lollichon Ja, für mich ist die Größe sehr wichtig. Das ist reine Mathematik. Wenn jemand so groß ist wie Petr oder Thibaut und dazu noch sehr explosiv, deckt er mehr Raum ab. Wenn ein Torhüter nur 1,85 m groß ist und genauso explosiv wie die beiden, würde ich den Hünen nehmen. Die Größe ist fundamental, reicht aber allein nicht, der Torhüter muss auch explosiv sein. Die neue Generation von Athleten ist aber insgesamt größer. Diese Entwicklung lässt sich auch in anderen Sportarten verfolgen, wie Handball, Volleyball oder Eishockey. Dort war beispielsweise die Durchschnittsgröße der Torhüter vor 6-7 Jahren 1,85 m. Nun ist sie 1,90 m. Auch beim Basketball gibt es fast nur noch Riesen. Trotz der Größe sind sie sehr schnell und leichtfüßig. Für mich ist die Größe von 1,85 m das Minimum für einen Torhüter, aber ebenso wichtig sind Explosivität und eine gute Koordination.
Artur Stopper In Ihrer 9-jährigen Arbeit als Torwarttrainer im Profibereich von Chelsea haben Sie neun Trainer kommen und gehen sehen. Jeder Trainer hatte seine eigene Spielphilosophie. Wie schwierig ist es, das Torwartspiel an das jeweilige Spielsystem anzupassen?
Christophe Lollichon Bis jetzt war das so. Aber Tim Dittmer, der neue Kopf der Torwartausbildung in England, ist ein moderner Typ. Ich hatte bei einem Treffen mit ihm ein sehr gutes Gespräch. Das Problem ist, dass England keine gute Torhüter-Kultur hat. Für Engländer ist der Torhüter schon seit langem ein reiner Toreverhinderer, kein Fußballspieler. Deshalb besteht das Torwarttraining in England fast ausschließlich aus Torschüssen, aber nicht aus einer Korrektur der Bewegungsabläufe. Wenn man aber den Torhüter nicht auch als Feldspieler sieht, limitiert man ihn in seiner Entwicklung. So wird der Torhüter meist nur auf das bekannte Kick and Rush vorbereitet und seine Position ist ausschließlich auf der Torlinie. Das erste, was ich nach meiner Ankunft in London 2007 zusammen mit Petr beschloss, war, diese Spielweise des Torhüters zu verändern. Es gibt eine Menge Torhüter, die eine großartige Parade zeigen können. Aber Torhüter zu finden, sich gut positionieren können, ist bedeutend schwieriger.
Artur Stopper Mit Petr Cech und Thibaut Courtois hast du über Jahre absolute Welttorhüter trainiert. Wo sehen Sie die größten Unterschiede im Torwartspiel zwischen Petr Cech und Courtois?
Christophe Lollichon Thibaut ist jünger und der vielleicht talentierteste Torhüter der Welt. Er hat alles. Er ist groß, ist schnell auf den Beinen und intelligent. Zu Petr hatte ich bereits viel gesagt. Sie unterscheiden sich nicht gravierend, sie haben beide fantastische Fähigkeiten.
Artur Stopper Mit welchem Torhüter würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten?
Christophe Lollichon Das ist eine gute Frage (lächelt). Ich glaube, dass es ein Vergnügen wäre, einmal mit Manuel Neuer zu arbeiten, weil ich sein Torwartspiel sehr schätze. Er kann sich glücklich schätzen, dass er mit Pep Guardiola zusammenarbeiten durfte. Während dieser Zeit machte Neuer große taktische Fortschritte. Die Anregungen Guardiolas waren sowohl für Bayern München als auch für die deutsche Nationalmannschaft gut, weil Bundestrainer Löw zu dieser Zeit einiges im Abwehrverhalten veränderte und mit Neuer einen Torhüter vorfand, der diese neuen Vorgaben optimal umsetzen konnte. Deshalb ein großes Dankeschön an Herr Guardiola! Jan Oblak ist auch ein interessanter Torhüter, aber für mich nicht groß genug. Aber davon abgesehen hat er großartige Voraussetzungen, um auf einem Top-Level zu spielen. Außerdem ist er ein sehr guter Typ. Ein anderer Kandidat wäre für mich Koen Casteels vom VfL Wolfsburg. Er kommt aus demselben Klub wie Courtois. Ich kenne Casteels nicht als Mensch, aber sportlich er hat sehr gute Anlagen, um einer der Weltbesten zu sein. In Deutschland finde ich Bernd Leno interessant, auch wenn er für mich nicht groß genug wäre. Vor einigen Jahren sah ich ihn in einem Champions-League-Spiel gegen uns, er war damals noch sehr jung. Er beherrscht einige Dinge sehr gut. Außerdem gefällt mir Fährmann. Ich verfolgte seine Entwicklung sehr aufmerksam bis zum Alter von 16 Jahren. Aber er hat einige interessante Ansätze…
Artur Stopper Fährmann brauchte relativ lange, bis er zur unumstrittenen Nummer eins in der Bundesliga wurde …
Christophe Lollichon Er war früher meiner Meinung nach etwas zu schwer, inzwischen ist er schmaler und dadurch möglicherweise besser geworden. Aber man kann Torhüter nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Der ein oder andere braucht mehr Zeit, um zu reifen. Nehmen wir z.B. Jemal Blackman, der für mich der beste englische Torhüter ist. Er ist 23 Jahre alt und spielte letzte Saison in der vierten Liga in England. Er hat aber alles, um einer der besten Torhüter in England zu werden, vielleicht erst im Alter von 25 oder 26 Jahren, vielleicht auch nie.
Artur Stopper Vielen Dank für das sehr interessante Interview und für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.
Christophe Lollichon Kein Problem, ich habe die Zeit genossen, mich mit Ihnen auszutauschen und Ihnen meine Vorstellung vom Torwartspiel darzustellen.