Seit dieser Saison trainiert Michael Gurski die Bundesliga-Torhüterinnen von RB Leipzig. Zuvor war er in dieser Funktion beim Drittliga-Aufsteiger SpVgg Unterhaching im Männerbereich tätig. Der 44-Jährige bringt für diese Tätigkeit reichlich eigene Spielerfahrung mit. Gurski bestritt 345 Spiele von der 2. bis zur Regionalliga, davon 20 in Liga zwei für die SpVgg Unterhaching und TuS Koblenz. Außerdem stand er für Wehen-Wiesbaden, Sandhausen, SSV Reutlingen und Arminia Bielefeld zwischen den Pfosten. Nach den verschiedenen Stationen kehrte er 2018 zur SpVgg Unterhaching zurück, zunächst als Torwart-Trainer und Keeper Nummer drei. Unter Cheftrainer Sandro Wagner arbeitete er dann bis zum Sommer 2023 ausschließlich als Torwart-Trainer. Goalguard sprach mit ihm über die Gründe seines Wechsels in ein Frauenteam, über die Unterschiede zwischen der Arbeit mit Torhüter und Torhüterinnen sowie der anderen Herangehensweise bei der Ausbildung der Frauen.
Artur Stopper Michael, bis zum Sommer warst du Torwarttrainer bei den Profis der SpVgg Unterhaching. Trotz Unterhachings Aufstieg in die Dritte Liga unter Cheftrainer Sandro Wagner, dem jetzigen Co-Trainer der Nationalmannschaft, hast du dich für einen Vereinswechsel zu dem Bundesliga-Frauen von RB Leipzig entschieden. Welche Gründe gab es dafür?
Michael Gurski Letztlich gab es zwei Gründe, die zu meiner Entscheidung führten. Der erste Grund ist, dass am Ende der vergangenen Saison das komplette Trainerteam in Unterhaching ausschied. Deshalb habe auch ich für mich die Entscheidung getroffen, mich zu verändern. Ich erhielt einige Anfragen aus der dritten Liga oder aus NLZs von Bundesligisten, war aber zeitgleich auch schon in Kontakt mit Thomas Schlieck, dem Head of Goalkeepers Red Bull Soccer. Nach nach erfolgreich durchlaufenden Assessment Center entschied sich RB Leipzig dann für mich als neuen Torwarttrainer der RB-Frauen. Der zweite Grund für den Wechsel war, dass das Projekt in Leipzig etwas darstellte, was ich so bisher noch nicht kannte, aber in dem ich ein großes Potenzial sehe, das Torwarttraining der Frauen zukünftig nachhaltig zu verändern. Eine ausschlaggebende Rolle für die Veränderung spielte zudem, dass die neue Arbeitsstelle Leipzig so nahe an meinem Lebensmittelpunkt in Starnberg liegt, dass ich mal schnell am Abend bei meiner kleinen Familie zu Hause sein kann, wenn es mal brennen sollte.
Artur Stopper Was zeigen deine ersten Erfahrungen: Gibt es Unterschiede in der Arbeitsweise im Training mit Frauen gegenüber der Arbeit mit Männern, muss man mit Torhüterinnen anders umgehen?
Michael Gurski In der persönlichen Ansprache mit den Torhüterinnen sehe ich wenig Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern. Auch den Mädels kann man kurz und prägnant mitteilen, was man gerade von ihnen erwartet, was falsch war oder was gut lief. Die pädagogische Herangehensweise ist als ähnlich. Aus inhaltlicher Sichtweise gibt es jedoch zwei Welten, weil völlig unterschiedliche körperliche Voraussetzungen zwischen Männern und Frauen vorhanden sind.
Artur Stopper Torhüterinnen sind in der Regel deutlich kleiner als ihre männlichen Kollegen. Bei der vergangenen WM in Australien und Neuseeland waren sie im Durchschnitt 1,74 m groß. Der Durchschnittswert der Männer lag bei der WM 2022 in Katar mit 1,92 m deutlicher höher, d.h. Torhüterinnen sind durchschnittlich fast 20 cm kleiner. Welchen Einfluss haben diese Größenunterschiede auf das Torwartspiel von Frauen gegenüber dem von Männern?
Michael Gurski Ich glaube man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass eine Differenz von fast 20 cm auf ganz hohem Niveau schon einen entscheidenden Unterschied bei der Positionierung im Spiel ausmacht. Größe und Dynamik sind zwei entscheidende Faktoren, in denen sich Männer und Frauen im Torwartspiel klar unterscheiden. Ein Mann holt seine Dynamik vor allem aus dem Schulterbereich, eine Frau hingegen aus dem Hüftbereich. Die Frage bleibt also, ob man das Training der Männer einfach auf das Training mit Frauen übertragen kann oder bei anderen Voraussetzungen die Weichen in eine andere Richtung stellen muss. Das ist mein Thema. Deshalb möchte ich nicht genau dasselbe machen wie viele andere Kollegen und den Herrenbereich als Referenzwert nehmen. Wir müssen ein für das Frauentraining ein eigenes Leitbild kreieren.
Artur Stopper Muss deshalb das Torwarttraining der Frauen auch anders gestaltet werden?
Michael Gurski Ja, absolut. Ganz grundsätzlich ist das Torwarttraining bei den Männern bei RB Leipzig unter der Entwicklung von Thomas Schlieck und Frederik Gößling, die für den Profibereich zuständig sind, ein komplexes und spielnah konzipiertes Training. Diese innovative Vorgehensweise, die für RB Leipzig steht, möchte ich als Grundlage nehmen, um auch bei den Mädchen einen neuen RB-Style zu entwickeln. Da entsteht momentan schon eine Veränderung im Torwartspiel der Frauen von der Pike auf.
Artur Stopper Könntest du diese angedachte Veränderung im Torwartspiel und Training bei RB Leipzig vielleicht an einem Beispiel klarmachen?
Michael Gurski Ein prägnantes Beispiel dafür als der Schuss in der Box aus diagonalem Winkel und einer Torentfernung von 10 – 15 m. Ohne Gegnerdruck schieben viele Torhüter im Männerbereich zum Schützen vor oder lassen sich bei Gegendruck fallen, um Reaktionszeit zu gewinnen. Würden die Frauen nach dem gleichen Muster agieren, würden sie sich zweifellos ebenfalls Reaktionszeit verschaffen. Diese würde ihnen aber wenig bringen, weil Frauen nicht die Körpergröße und Dynamik haben, einen präzisen Schuss in eine Torecke mit einem entsprechenden Abdruck zu verhindern. Deshalb ist unser primäres Ziel, die Torfläche zu verringern. Unsere Mädels sollen hoch stehen, um in die Block- oder Abkippphase zu kommen, und auch in diesem Moment wirklich stehen und nicht spekulieren. Auf diese Weise wollen wir vermeiden, dass sie überhaupt in die Abdruckzone kommen, die zweifellos der eigentliche Schwachpunkt bei Frauen ist. Ein zweites Beispiel sind die Distanzschüsse aus 25 – 30 m, die sogenannten „Frauentore“, bei denen sich der Schuss hinter ihnen ins Tor senkt. Wir wollen diesem Schwachpunkt bei Frauen dadurch entgegenwirken, dass sie lernen müssen, den Schützen viel früher zu scannen, um frühzeitig zu erkennen, ob ein Schuss oder Steckpass zu erwarten ist und die Torhüterin damit die Positionierung entsprechend anpassen muss. Wenn man den Spieltag der Frauen beobachtet, fallen mindestens zwei Tore pro Spieltag auf diese Weise.
Artur Stopper Erst zu dieser Saison sind die Frauen von RB Leipzig in die Bundesliga aufgestiegen. Wie schwer fällt dem Team noch die Anpassung an die neue Liga, und welche Rolle traust du dem Team in dieser Saison zu?
Michael Gurski Wir haben jetzt vier Spieltage hinter uns mit einem Sieg und drei Niederlagen. Die Niederlagen muss man als Lernphase betrachten, weil sie zeigen, dass wir uns in der Liga noch akklimatisieren müssen. Das gelingt uns aber von Spiel zu Spiel besser. In den letzten Spielen gegen die Champions-League-Teilnehmer Frankfurt und Wolfsburg haben wir eine große Disziplin, Taktik, Ordnung und Kompaktheit an den Tag gelegt. Am Ende waren es individuelle Kleinigkeiten, die das Spiel zugunsten der Favoriten gekippt haben. Diese Erfahrungen wollen wir aufnehmen und versuchen, in den kommenden Spielen zu punkten. Ich denke, dass ein Mittelfeldplatz am Saisonende für uns realistisch ist. Mit dem Abstiegskampf wollen wir jedenfalls so wenig als möglich zu tun haben.
Artur Stopper Michael, wir wünschen dir viel Erfolg und Freude bei deiner neuen Tätigkeit.